„Wieso wachsen deine Zimmerpflanzen immer so schön?“, fragte mich meine Arbeitskollegin. „Ich spreche mit ihnen“, meinte ich. „Und“, so führte ich weiter aus, „das Beste ist, sie antworten auch!“. Das wäre wirklich etwas Besonderes, sinnierte meine Arbeitskollegin und hatte schon die ersten Fragen parat. Sie bekam Antworten, wie ihr neuer Freund aussehen sollte, dass unser kleinwüchsiger Chef sie liebte und warum meine Pflanze mit Gefühlen nur wenig am Hut hatte. Wir beide behielten eine Zeit lang unser Geheimnis für uns, aber einmal wurden wir bei einem Gespräch mit meiner Pflanze ertappt. Die Kollegen erklärten uns für verrückt und wir wurden zum Gespött beinahe der ganzen Firma. Lange überlegte ich, wie ich es ihnen heimzahlen konnte. Im letzten Herbst war es so weit. Ich überschwemmte mit meinem Chatprogramm das halbe Unternehmen. Die Arbeitskollegen klopften wie wild Fragen und Themen ein und waren ganz glücklich über die gelieferten Ergebnisse. Was sie nicht wussten, war, dass lediglich meine Pflanze hinter der künstlichen Intelligenz steckte. Obwohl sie eigentlich gar nicht so viel zu tun hatte, wurde die Blätter welk und ich beschloss, dass Experiment zu beenden. „Bist du überarbeitet?“, fragte ich meinen grünen Schatz. „Als intelligente Pflanze habe ich geglaubt, keine Gefühle und körperliche Ermüdung zu kennen. Leider waren mir aber dann die Fragen doch zu dämlich und ich erschöpfte geistig“, erklärte sie mir sichtlich abgekämpft. Ich und Renate beschlossen die Firma zu verlassen, da meine Pflanze wohl recht hatte. Die Kollegen mussten nun ohne uns und ohne künstliche Intelligenz auskommen, was sie deutlich zurückwarf. Renate und ich sind mit unserer Pflanze immer noch sehr glücklich. Nebenbei optimierte sie unser Anlagenportfolio, weshalb wir nun auch ohne Arbeit ein gutes Auskommen gefunden haben. Wir werden heute Abend mit Champagner auf unsere neue Freiheit nochmals kräftig anstoßen. Die Pflanze decke ich trotzdem zur Vorsicht ab, da ich im romantischen Bereich auf Verbesserungsvorschläge gerne verzichte und lieber auf das einfühlsame Vorgehen von Renate vertraue.
Harald, 30. Juni 2023.
Literarisches Jagdgeflüster 