Kuno, Bruno, Olaf und ich waren eine Gruppe von Totalversagern, von denen keiner jemals irgendetwas auf die Reihe brachte. Wir verdienten kein Geld, bildeten uns nicht weiter, pflanzten uns nicht fort und leisteten auch sonst nichts, was die Gesellschaft, der wir angehörten, auf irgendeine Weise unterstützte. Das einzige, was uns vier zusammenhielt, war der Umstand, dass unser aller Leben in der selben, beinahe stromlinienförmigen Erbärmlichkeit verlief.
Jeder von uns hatte auch schon versucht, unsere Gruppe zu führen. Bruno war allerdings völlig unfähig, irgendeinen Gedanken zu formulieren, der über seine eigenen Bedürfnisse hinausging. Kuno vergaß ständig alles, was am Vortag geschehen oder für den folgenden Tag geplant war und Olaf mochte es überhaupt nicht, wenn er mit irgendjemandem reden musste.
Schließlich hatte ich, August, widerwillig das Heft in die Hand genommen, obwohl ich es in Grunde genommen bereits hasste, Entscheidungen treffen zu müssen, die lediglich mich selbst betrafen. Den anderen war dieser Umstand völlig egal, solange er nicht dazu führte, dass ich das Handtuch warf und wieder einer von den dreien die Führung übernehmen musste.
Aber immerhin hatte ich durchgesetzt, dass wir den alten Wohnwagen, den Olaf in einer von dichtem Gestrüpp bewachsenen Mulde hinter dem Schießplatz entdeckt hatte, zu unserem ständigen Domizil erkoren. Die meiste Zeit saßen wir hinter den Büschen verborgen vor dem Wagen und mussten mitanhören, wie auf der Anlage neben uns Zeitgenossen, die Gefallen daran fanden, aus ihren Gewehren enorme Mengen an Munition verfeuerten, als sei der Krieg ausgebrochen. Weil uns der Lärm irgendwann auf die Nerven ging, fingen wir an, zur Beruhigung Benzin zu schnüffeln, das wir aus Feuerzeugen gewannen, die bei einer missglückten Veranstaltung einer rechtsradikalen Partei übriggeblieben waren.
Einmal, als wir uns gerade völlig high auf der Erde vor unserem Wohnwagen wälzten, machte der Fahrer des Sattelschleppers, der Munition und frische Zielscheiben brachte, beim Reversieren einen schweren Schnitzer und durchbrach mit seinem Fahrzeug unser Gestrüpp. Der Fahrer entdeckte uns auf dem Boden und wollte sich dafür entschuldigen, dass er uns in Gefahr gebracht hatte. Als er erkannte, in welchem Zustand wir gerade waren, nahm er davon Abstand, lenkte seinen Truck in Windeseile aus dem Gebüsch und brauste davon.
Ein paar Tage später erhielten wir Besuch von einem Sozialarbeiter, der sich uns als Heinrich vorstellte. Heinrich erklärte uns mit vorbildlichem Langmut, dass Benzinschnüffeln keine Tätigkeit sei, für die uns der Staat noch länger unterstützen wolle. Wir könnten aber die Betreuung einer Toilettenanlage an einer Autobahnraststätte ganz in der Nähe übernehmen.
Bruno, Kuno und Olaf weigerten sich sofort. Ich spürte, dass wir keine Wahl hatten und fragte den Sozialarbeiter, mit welchen Folgen wir zu rechnen hätten, wenn wir ablehnten. Der Truck, der Munition und Zielscheiben brachte, erwiderte Heinrich ein wenig süffisant, würde dann beim nächsten Mal gleich die Abkürzung durchs Gestrüpp wählen, was der Unversehrtheit unseres Wohnwagens wohl kaum zuträglich sei.
Ich gab mich geschlagen und stimmte Heinrichs Vorschlag auch im Namen von Bruno, Kuno und Olaf zu.
Am nächsten Morgen schon bildeten wir in einheitlicher Arbeitskleidung eine Toilettenputzbrigade an einer Autobahnraststätte. Weil an einem solchen Ort alle Gemeinheiten menschlicher Ausscheidungskunst zur Anwendung kamen, gefielen uns die anfallenden Tätigkeiten überhaupt nicht.
Einzig das schnelle, hektische Herumwedeln mit Schrubbern auf dem glatten Boden machte uns Spaß. Am Ende mochten wir es so sehr, dass wir darüber alle anderen Tätigkeiten vernachlässigten und unsere Anlage bloß noch pfeilschnell über den Boden wedelnd reinigten. Wir entwickelten den Ehrgeiz, unsere Böden so glatt zu polieren, dass unsere Notdurftlinge, wie wir sie tauften, ausrutschten und hinfielen, was uns immer öfter gelang.
Einmal kam einer, um sich zu erleichtern, den man mit gutem Gewissen einen blasierten Snob nennen konnte. Er hatte sich zwei Champagnerflaschen unter die Achseln geklemmt und stolzierte wie ein Pfau über die spiegelglatten Flächen unseres Pissoirs. Auch er hielt sich nur wenige Schritte, glitt aus und segelte der Länge nach durch den ganzen Raum.
Die Champagnerflaschen barsten, als sie auf dem harten Boden aufschlugen. Was danach geschah, erstaunte uns über alle Maßen. Kuno, der es als erster bemerkte, rief nach und nach uns andere dazu. Der Snob glitt flott dahin, stieß gegen ein Hindernis wie eine Wand oder eine Tür, kam dadurch aber nicht zum Stillstand, sondern wurde bloß abgelenkt und flutschte heftig wieder davon, ehe er erneut an einer anderen Stelle anprallte, wo sich das Ganze wiederholte. Wir wurden des Snobs nicht habhaft, so sehr wir uns auch bemühten. Immer wieder entwischte uns sein Körper.
Bruno, Kuno und Olaf verloren schließlich jedes Interesse an dem Vorgang. Es war an mir, die Angelegenheit zu klären. Ich rief beim Arbeitsinspektorat an und bat um Hilfe. Man sagte mir, dass man sofort jemanden vorbeischicken würde. Ein solcher Fall dürfe nämlich unter keinen Umständen in die Presse gelangen.
Die Arbeitsinspektorin Gundula, die schon wenig später in der Raststätte eintraf, wusste zum Glück, was zu tun war. Sie schickte Olaf, Bruno, Kuno und mich ins Freie, wo sich in der Nähe der Tankstelle eine Streugutkiste befand, aus der wir so viel Material heranschaffen sollten, wie wir nur tragen konnten. Gundula errichtete mit dem Streugut auf dem Pissoirboden einige Sperren, mit deren Hilfe es schließlich gelang, den Snob zu stoppen.
Er sei für den Rest seines Lebens bedient, sagte der Gerettete, nachdem er sich ein wenig erholt hatte. Er wolle nie wieder blasiert durch die Öffentlichkeit stelzen, er beabsichtige vielmehr, sich in ein Kloster zurückzuziehen, um seinen Mitmenschen keine Angriffsfläche mehr zu bieten. Er verzichte darauf, dass wir ihm die Champagnerflaschen ersetzten, die zu Bruch gegangen waren.
Die Arbeitsinspektorin, die klarerweise einen Bericht zu schreiben hatte, wurde hellhörig, als sie vom Champagner hörte. Dass die Böden exzellent geschrubbt seien, sehe man sofort, lobte sie uns, aber die weit darüber hinausgehende Schlüpfrigkeit sei wohl dem Champagner zuzuschreiben.
Ich erwiderte, dass Olaf, Bruno, Kuno und ich sehr stolz seien auf unsere überragende Wischkunst. Sie sei das einzige, was wir beherrschten. In allem Übrigen seien wir Versager. Das wisse sie, erklärte sie, der Sozialarbeiter Heinrich sei zufällig ihr Lebensgefährte und habe sie telefonisch informiert, während sie vom Büro zur Raststätte gefahren sei.
Sie sei aber nicht nur Arbeitsinspektorin, sondern auch eine erfolgreiche Trainerin und wolle uns gern unter ihre Fittiche nehmen.
Bruno murrte, dass er Sport nicht leiden könne, aber sie, Gundula, solle wenigstens sagen dürfen, um welche Sportart es sich handelte.
Es ginge um Curling, sagte die Inspektorin. Darin gehörten wir auch ohne Training schon zu den besten. Wenn sie uns erst trainierte und wir dann im Wettbewerb auch noch die Eisflächen mit Champagner besprühten, könnten wir sogar Olympiasieger werden.
Da lachten wir alle vier, weil wir es für einen Scherz hielten. Weil wir aber nichts zu verlieren hatten, nahmen wir ihr Angebot an.
Ein Jahr später wischten wir uns bei den Olympischen Spielen in Beaver Creek die Seele aus dem Leib. Tatsächlich brachte es uns den Sieg ein, dass wir das Eis während wir an der Reihe waren, mit einem Champagnerfilm versahen.
Leider ging unser Triumph bei der Siegerehrung medial ein wenig unter, weil unmittelbar vor uns ein Kerl geehrt wurde, der den Viererbobbewerb allein mit drei Kisten Champagner als Beifahrer gewonnen hatte.
Was soll ich noch sagen? Wir vier haben nach unserem Olympiasieg das Curling wieder aufgegeben und sind seither wieder Versager. Allerdings ist es nicht mehr so schlimm, weil wir jetzt genug Geld haben.
Unsere Goldmedaillen hängen in einem Schaukasten auf dem Pissoir der Autobahnraststätte. Wir arbeiten nicht mehr dort, aber ab und zu schauen wir vorbei, um in nostalgischen Erinnerungen zu schwelgen.
Michael, 14. Juli 2023.