Met versus Champagner

Trulla von Huchz, die mit ihrem Mann Dillo auf der Burg Huchzenstein in Mecklenburg-Vorpommern lebte, war zeit ihres Lebens betucht genug, um sich nicht mit schnöder Erwerbsarbeit abmühen zu müssen. Das Paar verband neben weniger Bedeutsamem besonders die gemeinsame Liebe zu den Opern Richard Wagners.

Anlässlich ihrer Hochzeit hatten sie sich, um aufkeimende Langeweile gleich von vornherein hintan zu halten, geschworen, nicht eher zu ruhen, bis sie nicht alle Bühnenwerke Wagners zu zweit  vollständig auf ihrer Burg aufgeführt hätten, und zwar indem sie nicht nur alle Gesangsparts, sondern auch sämtliche Orchesterinstrumente übernahmen und auch Regie führten und das Bühnenbild entwarfen und die Kostüme. Weil diese kolossale Aufgabe sie Tag und Nacht unentwegt forderte, stärkten sie sich mit Unmengen von Met, den ihnen der Imker Ambrosius Honicker in riesigen Eichenfässern einmal wöchentlich frei Haus lieferte.

Den Fliegenden Holländer bekamen sie ganz passabel auf die Reihe, die Gesamtaufführungsdauer summierte sich allerdings wegen der vielen Rollen- und Positionswechsel auf insgesamt 42 Stunden, was aber niemanden kümmerte, weil auf Huchzenstein ohnehin keine Zuschauer geladen waren, die der Darbietung beiwohnen hätten können. 

Auch über die Meistersinger nudelten sich Trulla und Dillo irgendwie drüber, nicht zuletzt durch eine weitere Steigerung des bereits davor exzessiven Metkonsums während der Aufführung, der den Lieferanten AmbrosiusHonicker an die Grenzen seiner Lieferkapazitäten brachte. 

Bei Lohengrin begann es sich schließlich zu spießen, im Grunde genommen wegen eines winzigen Auffassungsunterschieds. Trulla war der Meinung, dass der Fremde und Elsa im dritten Akt, nachdem sie ins Brautgemach eingezogen waren, ihre Ehe unbedingt vollziehen mussten, ehe sie ihren Gatten nach seinem Namen fragte und er danach mit seinem Widersacher Telramud kämpfte. Nach der Vereinigung solle die Braut dann in höchster Verzückung eine Sequenz aus dem ersten Akt singen, nämlich: Sei bedankt, mein lieber Schwan. Die Zeile sei an dieser Stelle viel stimmiger und zeige an, dass der Schwan, der ihren Gemahl gebracht hätte, Elsa so indirekt die höchste Lust verschafft hätte. 

Dillo hielt die Argumente seiner Frau für Schwachsinn und bestand darauf, dass sie die Oper exakt so aufführten, wie der Komponist es vorgegeben habe. Wagners Genie vertrage keine eigenmächtigen Anpassungen. Trulla von Huchz gab aber nicht nach und überredete ihren Gatten, dass sie den Vollzug der Ehe wenigstens einmal probten. 

Dillo trank einen Krug Met und stimmte dann knurrend zu. Trulla und ihr Gatte vollzogen als Elsa und der Fremde ihre Ehe und auf dem Höhepunkt stieß Trulla in exstatischem Gesang die Sequenz mit dem Dank an den Schwan aus, um danach sofort abzubrechen. Die Szene, sagte Trulla, sei nicht schlecht gelungen für ein erstes Mal, sie müssten sie aber gleich noch einmal proben. 

Dillo trank einen weiteren Krug Met und beglückte seine Frau abermals. Trulla dankte wiederum dem Schwan und brach dann wie beim ersten Mal ab. Es sei noch ein wenig besser gewesen, sagte sie, aber es sei noch Luft nach oben, und sie müssten sich noch ein drittes Mal paaren. 

Die Szene verlief wie bei den ersten Malen. Trulla bekrittelte im Anschluss, dass Dillo sie liebe wie behäbiger Brauereiwallach. Es handle sich um eine Hochzeitsnacht, da müsse alles leicht und leidenschaftlich  vonstatten gehen. Seufzend willigte Dillo in einen vierten Versuch ein. 

Zuvor müsse er allerdings ins Burgverlies hinunter steigen, um einen neuen Krug Met zu besorgen. Es dauerte eine ganze Weile, bis er wiederkam. Er habe ein neues Fass aufmachen müssen, erklärte er, und er habe die Gelegenheit genutzt, um auch für sie, Trulla, einen Krug mitzubringen. 

Sie tranken und stellten fest, dass der Met aus dem neuen Fass ganz anders schmeckte als sonst, viel feiner und anregender. Dies hatte zur Folge, dass der Vollzug der Ehe diesmal weitaus befriedigender und in so hoher Finesse gelang, dass Trulla nach ihrem Dank an den Schwan ausrief, dass die Szene nun endlich perfekt gelungen sei und dass sie nun im Lohengrin in der Handlung weiter voranschreiten konnten. 

Diesmal widersprach Dillo. Die Szene sei so angenehm verlaufen, dass sie sie gern noch ein fünftes Mal wiederholen konnten. Zuvor wolle er allerdings noch Ambrosius Honicker anrufen und fragen, was das für ein Met sei, den er da neuerdings geliefert hätte. Honicker erklärte am Telefon, dass seine Bienen streikten und er deshalb keinen Met mehr herstellen könne und sich deshalb erlaubt habe, stattdessen ein Fass mit Champagner zu füllen und zu schicken. Es täte ihm leid, aber er habe keine andere Wahl gehabt. 

Dillo erwiderte, dass kein Grund dafür bestünde, dass Honicker sich entschuldigte, er solle vielmehr in Zukunft immer Champagner schicken. 

Anschließend wandte Dillo von Huchz sich an seine Frau und schlug ihr vor, dass sie auf den Quatsch mit den entsetzlichen Wagneropern ab sofort verzichteten und sich nur noch auf den Vollzug ihrer Ehe konzentrierten. Mit Hilfe des Champagners gelinge er nämlich ganz ausgezeichnet. 

Trulla stimmte freudig zu, und sie liebten sich ein fünftes Mal an diesem Tag und an den folgenden Tagen noch viele weitere Male und tranken dazu Unmengen von Champagner. Trulla behielt allerdings die liebgewonnene Angewohnheit bei, dass sie sich nach jedem gelungenen Akt singend bei dem Schwan bedankte.

Michael Burgholzer, 28. Juli 2023.

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