Mopedangriff

Einmal knatterte ich wie so oft auf meiner türkisen Aprilia ziellos durch die Stadt. Ich achtete nicht auf die Verkehrsregeln und hatte meine Freude daran, auf Zebrastreifen Fußgänger vor den Kopf zu stoßen, indem ich Ihnen fast über die Zehen fuhr. Darüber hinaus fegte ich in einem Höllentempo durch die engsten Gassen und schnitt dabei die Kurven in halsbrecherischer Manier. 

Schließlich gelang es mir, mit meinem fahrbaren Untersatz einen beigen Opel zu rammen, der gerade aus einer Einfahrt bog. Ich ließ meine Aprilia zur Seite gleiten und brachte sie, wie ich es wieder und wieder geübt hatte, kontrolliert zum Stillstand, wobei ich sie allerdings so sehr schrottete, dass sie nicht mehr zu gebrauchen war. Ich blieb wie immer unverletzt auf der Fahrbahn liegen. 

Der Fahrer des Opel sprang aus seinem Wagen und sah sofort nach mir. 

„Sind Sie verletzt?“, rief er besorgt und half mir auf die Beine. 

„Es geht schon“, ächzte ich und fügte hinzu: „Muss ja, weil das Leben keine Unterbrechung duldet. Streng genommen gibt es sogar etwa zu feiern für mich. Dies ist mein 50. Mopedunfall!“ 

„Gratuliere!“, sagte der Opelfahrer, den ich auf etwa 70 schätzte. „Haben Sie mich eigentlich absichtlich abgeschossen?“ 

„Na, na“, beschwichtigte ich. „Ich habe Sie doch nicht abgeschossen! Vielleicht sind Sie ja ein wenig forsch aus der Einfahrt herausgebrettert? Jetzt wollen wir aber doch erst einmal mein Jubiläum feiern. Zufällig habe ich sogar etwas zu trinken dabei.“ 

Ich knotete meinen Seesack auf, den ich wie immer auf dem Rücken mit mir führte. „Champagner oder Kindersekt? Ich kann mit beidem dienen.“ 

„Der 50. Unfall, sagen Sie?“, rief mein Gegenüber. „Dann wähle ich zur Feier des Tages Champagner!“ 

„Gern!“, sagte ich, ließ den Korken knallen und schenkte uns ein. „Ich selber bleibe aber lieber beim Kindersekt. Mir ist die Aufregung ein wenig auf den Magen geschlagen.“ 

Wir prosteten einander zu und leerten unsere Gläser auf ex. 

„Nun sollten wir aber langsam die Schuldfrage klären!“, sagte der Opelfahrer. „Irgendwann ruft die Pflicht, auch wenn die Neigung noch so verlockend daherkommt.“ 

„Später“, sagte ich und schenkte nach. „Jetzt genehmigen wir uns erst noch einen.“ 

Wieder tranken wir unsere Gläser rasch leer. Der Opelfahrer unternahm weitere Versuche, mich dazu zu bewegen, dass wir einen Unfallbericht verfassten und eine Skizze des Hergangs anfertigten. Erst als die Champagnerflasche und die Kindersektflasche leer waren, lenkte ich ein. 

„Jetzt können wir meinetwegen die Schuldfrage klären. Wissen Sie was? Rufen wir doch die Polizei. Die schicken Profis, die sich auskennen.“ 

Der Alkotest, den die beiden Beamtinnen unmittelbar nach ihrem Eintreffen durchführten, ergab bei dem Opelfahrer einen Wert über einem Promille. Bei mir hingegen zeigte das Gerät an, dass ich völlig nüchtern war. 

„Er hat mir den Weg abgeschnitten“, sagte ich zu der einen Polizistin und deutete auf mein Gegenüber, „und mich mit einem abrupten Bremsmanöver auf seinen Opel auffahren lassen. Dass er überdies sturzbetrunken ist, sehen Sie ja selbst.“

Die andere Polizistin nahm alles so zu Protokoll, wie ich es ausgesagt hatte. Der Opelfahrer schwieg auf alle Fragen und begnügte sich mit einem demonstrativen Grinsen. 

„Es sieht gut aus für Sie“, sagte eine der Polizistinnen zu mir, nachdem die Amtshandlung abgeschlossen war. „Die Versicherung des Herrn wird Ihnen Ihr Moped wohl ersetzen.“

„Ich werde ihn auch noch auf Schmerzensgeld klagen!“, rief ich und stampfte mit dem Fuß auf. „Allein schon um der Gerechtigkeit willen und damit er nie wieder ein Moped abschießt!“ 

Der Opelfahrer grinste immer noch, als ich den Unfallort verließ. 

Was soll ich sagen? Ich habe den Mann verklagt. 

Nachträglich muss ich gestehen, dass dies keine gute Idee war. Der Opelfahrer hatte unmittelbar, nachdem ich ihn abgeschossen hatte, noch in seinem Wagen einen Alkotest gemacht, dessen Ergebnis er dem Gericht vorlegen konnte. Alles, was geschehen war, nachdem er ausgestiegen war, hatte er mit einer Bodycam heimlich gefilmt. Das Gericht sah es als erwiesen an, dass ich meinen Kontrahenten erst nach dem Unfall mit Champagner abgefüllt hatte. Die Gutachter der Versicherung fanden zudem heraus, dass ich den Opel vorsätzlich abgeschossen hatte. Ich wurde dazu verurteilt, dass ich zusehen musste, wie meine Aprilia in die Schrottpresse wanderte. 

„Was soll’s?“, dachte ich später. „50 Unfälle mit dem Moped sind eine runde Zahl und ich habe meinen Spaß gehabt. In Zukunft werde ich eben zu Fuß unterwegs sein und aus der Deckung von Hecken zufälligen Passanten mit einem Blasrohr Juckpulver ins Genick schießen.“

Michael, 25. August 2023.

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