Dem in Würde gealterten Marc – so seine Einschätzung – fiel schon öfter auf, dass durch das Öffnen mehrerer größerer Champagnerflaschen eine Art Nebel entsteht, der bereits eine sehr betörende Wirkung erzeugt. Seit dieser Entdeckung sind seine Affären deutlich in Quantität und Qualität gestiegen. Seine Kurzzeitgeliebten fühlen sich für ihn wie eine kleine Wellnessauszeit seiner Frau an und Marc steht nun einmal nicht so auf Wasser, sondern eben auf Champagner. Seine Frau war letztes Wochenende wieder mit Freundinnen in einem angesagten Wellnesshotel samt Massagen und gutem Essen. Sie brachen bereits am Donnerstag morgen auf, was Marc diesmal sehr zu Gute kam. Mit Studentinnen hatte er schon genug gute Erfahrung gemacht und hier reichte meist eine Magnumflasche Champagner, um seine Wirkung auf die jeweilige Gespielin zu entfachen. Kaum stieg dieser sanfte Rauch aus der Flasche, waren fast alle von Marcs Qualitäten überzeugt. Diesmal wollte er mehr Herausforderung und Studentinnen empfand er zumindest kurz vor dem Studienabschluss eigentlich schon als zu alt. Also begab er sich um 11.00 Uhr zur Universität, wo gerade der Aufnahmetest für das Psychologiestudium anstand. Der Teilnehmerkreis bestand hauptsächlich aus Frauen zwischen 18 und 20 Jahren. Marc wollte kein Risiko eingehen und war mit zwei Balthazar-Champagnerflaschen samt Gläsern bewaffnet. Um Punkt 12.00 Uhr strömten die ersten Teilnehmerinnen aus dem Prüfungssaal ins Freie und Marc öffnete die erste Balthazar-Flasche mit einem Knall und etwas Nebel. Sofort kamen einige der jungen Frauen zu ihm und ließen sich Champagner einschenken. Nach nicht einmal einer Viertelstunde öffnete er bereits Flasche Nummer 2. Eine der angehenden Studentinnen hatte es ihm besonders angetan und er war sich sicher, dass der Nebel bereits seine Wirkung erzeugte. Als sie ihn wenige Minuten später küsste, wusste er, dass er alles richtig gemacht hatte. Er hielt ihre zarte Hand und strich ihr durch die blonden Locken. Als sie gerade aufbrachen wollten, hörte er eine Frauenstimme: „Wenn Eros Männern den Kopf verdreht, in Amors Spiel, das Herz verweht.“ Da stand sie vor ihm, eine Frau im besten Alter, gutaussehend, betörend, ein gerade geöffnetes Schweppes in der Hand. Er ließ die Hand von Lara sofort aus, die noch kurz versuchte, ihn mitzuzerren, aber bald die Sinnlosigkeit ihrer Aktion erkannte. Marc hatte nur mehr Augen für sie, eine Philosophieprofessorin, die die kleine Feier am Innenhof mitbekam und sich dazu gesellte. Diesmal verführte er nicht, er wurde verführt, gekonnt und mit unglaublicher Intensität. Am nächsten Morgen wollte er bleiben. Sie lächelte, zierte sich und vertraute sich ihm doch an. Er sollte seine Entscheidung nochmals überdenken, es könnte nämlich der Schweppes-Nebel sein, der ihn seiner Sinne doch etwas beraubte. Sie hätte die Wirkung auf Studenten bereits zig Nächte getestet und es wäre einfach unglaublich. „Eine Seelenverwandte“, schrie er freudig auf. Sie stieß ihn hart von ihrer Bettkante und meinte, dass sie leider losmüsste wegen Vorlesung und so. Marc bekam nicht einmal ihre Telefonnummer und musste auch noch mit ansehen, wie sie mit einem listigen Lächeln zwei Schweppes-Flaschen in ihre Tasche packte. Danach beförderte sie ihn unsanft aus ihrer Wohnung. Marc ging traurig nach Hause, trank Champagner in rauen Mengen und löffelte Schokocreme unaufhaltsam in sich hinein. Es wurde ihm langsam klar, dass er seine Gespielinnen wohl auch nicht anders behandelt hatte und ihn nun die gerechte Strafe ereilen würde. Er landete in der Hölle, die Welt ging nun unter, verschlang ihn, alles ist vorbei, nur der Tod könnte ihn erlösen, ohne jegliche Übertreibung. Da läutete es plötzlich an der Tür. Er öffnete im Bademantel und da stand sie vor ihm. Lara hatte seine Adresse herausgefunden und es schien, als hielte die Wirkung des Champagner-Nebels immer noch an. Sie kamen nicht bis zum Schlafzimmer, was Marc aber nicht weiter störte. Lara war hübsch und sie beherrschte alles, was er sich unter Wellness so vorstellte. Diesmal wollte er es besser machen, sie tauschten Telefonnummern aus. Als seine Frau Sonntag nachmittags nach Hause kam, mokierte sie sich über seinen Pyjama. Während sie auf ihre Figur und ihr Aussehen schauen würde, vergammelte er zu Hause, ja er sehe nahezu vernebelt aus. Er musste ihr Recht geben. Sie schüttelte den Kopf, vergaß die ganze Sache aber bald wieder. Marc wollte diesmal alles richtig machen. Er besorgte Lara eine 100m2-Wohnung, schließlich wollte er sich bei seinen Besuchen nicht eingeengt fühlen. Auch das Porsche-Cabrio für Lara musste sein, er fühlte sich bei den gemeinsamen Ausfahrten um Jahre jünger. Nach einigen Wochen verriet er ihr, dass er Angst hätte, dass die Wirkung des Champagner-Nebels nachlassen könnte und sie ihn dann weniger attraktiv empfinden würde. Lara antwortete lächelnd: „Keine Angst, es ist keinesfalls der Champagner-Nebel.“ Marc war beruhigt und selbst seiner Frau fiel positiv auf, dass er in letzter Zeit nicht mehr so vernebelt aussah.
Harald, 1. September 2023