Lichtarchitektur

Es war 19.15 Uhr und als Susanne aus dem Fenster blickte, war es fast schon finster. Dem Igel im Garten konnte es Recht sein, da seine Wintervorbereitungen auf Hochtouren liefen. „Schatz, kommst Du mal“, schrie Susanne in den Keller. Ihr Mann Egon stellte sich das erste Mal wie immer taub, konnte aber beim dritten Ruf nicht mehr aus und stieß seufzend ein „Ja“ hervor. Oben angekommen fuchtelte Susanne mit einem Bericht aus einer Wohnzeitschrift vor seiner Nase aufgeregt herum. Zehn Minuten später war auch Egon überzeugt, dass es im Garten im Herbst und Winter nicht so finster sein dürfte und die Bewegungsmelder aus dem Baumarkt nicht adäquat genug wären. Die Lichtarchitektin namens Luna war zwei Tage später gegen 20.00 Uhr bei ihnen, extra eingeflogen von Frankfurt. Egon wurde mit Taschenlampen bewaffnet und musste nach den Anweisungen von Susanne und Luna quer durch den Garten laufen. Einmal hielt er die Taschenlampe nach oben, dann seitlich, nach unten und richtete sie zehn Meter weiter rechts einmal Richtung Mond aus. Er machte gute Miene zum vermeintlich bösen Spiel und konnte sich gegen 22.30 Uhr wieder seinem Modellflieger im Keller widmen. Dieser sollte noch diesen Herbst fertiggestellt werden. Der Impeller für diesen ferngesteuerten Düsenjet war erst diese Woche angekommen und konnte nun verbaut werden. Er hatte sich seine benötigten Teile an eine in der Nähe befindlichen Paketbox senden lassen, um Susanne nicht unnötig in Aufruhr zu versetzen. Den Absturz seines vorherigen Modellfliegers hinterließ einen Schaden von 35.000 Euro und Susanne tat sich aus Sicht von Egon schwer, kleinere Rückschläge gut wegzustecken. Also war es besser, dass die bisherigen Kosten, die doch den abgestürzten Modellflieger mittlerweile um 50 Prozent überstieg, sein kleines Geheimnis blieben. Er hatte die nächsten beiden Wochen gute Fortschritte beim Bau gemacht und die Lichtarchitektur beinahe schon wieder vergessen. „Schatz, das Angebot von Luna ist nun hier. Wir sollten uns gleich heute entscheiden, dann könnte sie bereits in zwei Wochen starten“, hauchte sein Frau. Susanne hauchte immer, wenn die Summen gewisse Höhen erreichten. „175.000 Euro für Lichtarchitektur“, schnappte Egon. „Die Lichter sind da schon im Preis inbegriffen und sie wird den Baufortschritt höchstpersönlich überwachen“, führte Susanne fort. Egon schien das nicht wirklich zu beruhigen. „Luna ist eine attraktive Frau, findest Du nicht?“, versuchte Egon zu retten, was zu retten war. „Ja und sie hat einen fantastischen Geschmack“, antwortete seine Frau gelassen. Diese dämlichen Lichter gefährdeten nun also seinen Modellflieger. Er hatte keine Lust gerade jetzt Aktien zu verkaufen und Verluste zu realisieren. „Sie meinte letztens, sie trennt sich von ihrem Mann und sucht in der Nähe von Salzburg einen passenden Wohnort“, gab sich Egon noch Mühe, seine Frau von Luna abzubringen. Die hörte ihm nicht einmal mehr zu und gab Luna telefonisch die Zusage. Wie vereinbart war sie tatsächlich am Montag zwei Wochen später im Garten und koordinierte einige lokale Handwerkbetriebe, die Leitungen verlegten und alle möglichen Halterungen anbrachten. Egon reichte es endgültig und er nahm zwei Tage später abends eine Flasche Champagner aus dem Keller mit in den Garten, um mit Luna auf das Projekt anzustoßen. Jetzt würde er seiner Frau, die den mittwöchentlichen Yoga-Kurs besuchte, beweisen, dass das mit Luna ein Fehler war. Da er bei mir aber eher auf Granit biss, holte er eine weitere Champagnerflasche aus dem Keller, einen Dom Pérignon White Gold Jeroboard 1995 im Wert seines Modellfliegers. Luna hatte ihm sogar einen Kuss verwehrt, Egon musste somit nochmals nachlegen. Die dritte Champagnerflasche, eine Juglar Cuvée, gefunden in einem Schiffswrack, würde Luna wohl schwachwerden lassen. Das war Egon noch nie passiert, beim Hausbau schlief er mit der von seiner Frau beauftragten Innenarchitektin (so konnte er noch größere Designunfälle mit Ach und Krach vermeiden) und bei der Außengestaltung wurde die Gärtnerin nach einer halben Champagnerflasche bereits schwach (die beauftragten 30 Meter hohen Buchen konnten auf kostenverträgliche 10 Meter reduziert werden). Luna dachte gar nicht daran, den Auftrag in irgendeiner Weise zu reduzieren und gar mit Egon zu schlafen. Zerknirscht ging er betrunken ins Bett. Als Susanne später unter die Bettdecke kroch, schwärmte sie zu seinem Leidwesen von den Lichtern im Garten. Nächsten Tag überwies Egon die Rechnung an Luna und kontrollierte diese aber vorher jedoch mit dem Angebot. Dort wurde auf ausdrücklichen Wunsch der Auftraggeberin bestätigt, dass die Auftragnehmerin seit kurzer Zeit lesbisch war. Egon hatte seine Frau unterschätzt und die Lernkurve schlug sich mit Champagner im Wert von mehr als 75.000 Euro zu Buche. Der Verlust durch den Verkauf des Aktienpakets machte nochmals 25.000 Euro aus. „Schatz, kommst Du mal“, rief Egon in den Garten. Als Susanne nach dem dritten Ruf ins Haus kam, fuchtelte Egon mit einem Pool-Magazin herum und meinte, dass aufgrund der tollen Lichtarchitektur ein Swim-Spa die ideale Ergänzung wäre und die Anbieterin gleich in der Nähe sein würde. Im späteren Vertrag hielt Egon fest, dass die Jungunternehmerin Champagner mochte und nicht lesbisch war. Sein Modellflieger konnte auch noch fertiggebaut werden und so war Egon im späten Herbst doch wieder mit dem Leben versöhnt.

Harald, 22. September 2023.

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