Olaf, der seit 1974 bei allen Fußball-Weltmeisterschaften die bunten Sticker mit den Bildern der Spieler sämtlicher Mannschaften gesammelt und in die entsprechenden Alben eingeklebt hatte, verlor plötzlich jegliches Interesse an seiner mittlerweile ansehnlichen Kollektion.
„Ich will etwas anderes sammeln und in ein Album kleben“, sagte er zu seinem besten Freund Detlef, den er in Angelegenheiten von solcher Brisanz gern um Rat fragte. „Mein neues Sammelgebiet soll aber zumindest einen schwachen Bezug zu meinen Fußballalben haben, für die ich doch so viel Zeit und Mühe aufgewendet habe.“
„Leg doch ein Champagneralbum an!“, riet ihm Detlef. „Die Franzosen, die den Champagner erfunden haben, waren doch auch schon mehrmals Fußballweltmeister.“
„Grundsätzlich ist dein Gedanke verfolgenswert“, räumte Olaf ein. „Wie um alles in der Welt soll ich aber Champagner in ein Album kleben?“
„Das weiß ich auch nicht“, gestand Detlev. „Ich bin mir aber sicher, dass dir dazu etwas einfällt.“
Olaf kaufte sich Champagner verschiedener Marken und dachte nach. Detlev behielt recht. Irgendwann hatte Olaf eine geniale Idee. Er besorgte sich Löschblätter, die er einzeln mit verschiedenen Champagnersorten tränkte und anschließend mit seinem Haarfön trocken blies. Ein Album, in das er seine fertigen Exponate einkleben konnte, entwarf er selbst.
Dass alle Löschblätter genauso aussahen wie zuvor und nicht voneinander zu unterscheiden waren, störte Olaf nicht im geringsten. Nachdem er schließlich die stolze Zahl von 64 verschiedenen Champagnersorten gefönt und eingeklebt hatte, war er stolz auf sein Werk und wollte das, was er geschaffen hatte, mit der Öffentlichkeit teilen.
Er fand heraus, dass es in Reims einen Klub der Champagneralbenfreunde gab, der regelmäßig Ausstellungen mit Prämierungen veranstaltete. Olaf, dessen Französisch lausig war, meldete sich gleich zur nächsten Ausstellung an und fuhr nach Reims. Er reichte sein Album ein und wurde von der rührigen Jury mit einer Goldmedaille ausgezeichnet, auf der eine Limonadenflasche abgebildet war.
Olaf fragte auf Englisch nach, was es damit für eine Bewandtnis hätte, und warum auf der Medaille keine Champagnerflasche abgebildet sei. Er habe den Preis der Zitronenlimonadenalbenfreunde gewonnen, sagte der Juryvorsitzende. Deshalb sei eine Limonadenflasche das einzig adäquate Symbol für eine Medaille.
Er habe sich aber doch für die Ausstellung der Champagneralbenfreunde angemeldet, rief Olaf entsetzt. Mit Zitronenlimonaden habe er nichts am Hut.
Die Champagneralbenfreunde tagten im Saal nebenan, sagte der Vorsitzende. Er, Olaf, dürfe seine Medaille aber trotzdem behalten, weil eine einmal getroffene Juryentscheidung unumstößlich sei.
Olaf lief mit gequältem Gesichtsausdruck aus dem Saal und trat sofort die Heimreise an. Noch am Bahnhof entsorgte er seine Zitronenlimonadenmedaille, die ihm nichts bedeutete, in einen Abfalleimer und steckte sein Album gleich mit dazu.
Zu Hause besorgte er sich im Fachhandel das Album für die nächste Fußballweltmeisterschaft und eine stattliche Zahl von Tüten mit Sammelbildern. Mit großer Reue und neu erwachter Freude riss er Tüte um Tüte auf und klebte die Bilder besonders sorgfältig ein. Seinem Freund Detlef erzählte er erst davon, als das neue Album komplett war.
Michael, 29. September 2023