Was hatte Ullrich doch die Normalität verachtet. Mit seiner deutschstämmigen Freundin genoss er den beachtlich großen Whirlpool oft invers, also dieser war mit Champagner gefüllt und sie tranken zwei Gläser Leitungswasser. Das Blubbern war unvergleichlich und der Duft ihrer Körper anziehend. Dass seine Freundin ihren Urgroßvater, der im zweiten Weltkrieg eine unrühmliche Rolle gespielt hatte, verehrte, hatte Ullrich bisher eher kalt gelassen. Schließlich konnte auch er nicht alles haben und musste den einen oder anderen Abstrich machen. Manchmal erwischte er sich sogar dabei, wie Inas Ideen ihn doch ein wenig faszinierten, ärgerte er sich doch gerade vor zwei Tagen über einen augenscheinlich türkischen Fahrer in einem Mercedes, der seinem Porsche Cayenne nur unzureichend ausgewichen war. Auf dem Weg zur Arbeit traf dann das ein, was er bisher nur aus der Zeitung kannte. An der roten Ampel stehend rannten plötzlich einige Klimaaktivistinnen auf die Straße und klebten sich vor seinen Augen fest. Ullrich hatte genau für diese Fälle seinen Porsche mit Luftfederung geordert und konnte den Bodenabstand um beeindruckende zwölf Zentimeter vergrößern. Allein das Röhren seines Vierliter-Biturbo-Achtzylinders ließ ihn zufrieden grinsen und er konnte über die Liegenden bzw. über die Klebenden hinwegfahren. Einen Meter zuvor bremste er jedoch, lächelte ihn doch diese eine Klimaaktivistin sehr keck an. Er stieg aus und sie kamen ins Gespräch. Ella studierte Kunstgeschichte, wenn sie nicht auf der Straße klebte. Nach einer Stunde löste die Polizei die Blockade auf und Ullrich sorgte als Anwalt dafür, dass die Daten von Ella nicht aufgenommen wurden. Wenn sie sich schon mal kennengelernt haben, könnten sie auch auf einen Kaffee gehen. So verbrachte Ullrich den ganzen Vormittag im Kaffeehaus. „Ich liebe dich“, fiel plötzlich. Hatte er das nun wirklich gesagt? Ullrich wusste einmal mehr nicht, was plötzlich los war. Die nächsten Wochen waren sehr turbulent, die Trennung von Ina, der Verkauf des Porsche und der Whirlpool wurde zu einem Naturteich mit Kröten. Ella war erfrischend anders, so unangepasst und auf allen Ebenen kreativ. Das er die letzten Wochen nur ihre Freundinnen vor Gericht vertreten hatte, konnte er trotz fehlender Bezahlung noch verkraften. Als Ella aber sein aus ihrer Sicht viel zu großes Zuhause in eine Art Kommune verwandeln wollte, ging ihm dann doch zu weit, vor allem im Hinblick darauf, dass ihre Freundinnen ungewöhnlich konservativ zu sein schienen. Die Trennung von Ella war nicht minder dramatisch als jene zuvor von Ina. So blieb er allein zurück und als eine Partei der Mitte von Normalität sprach, erwischte er sich beim Gedanken, das attraktiv zu finden. Er verwarf das aber schnell wieder, führten doch für ihn alle absoluten Ideen ins Verderben. Als er anfing, Julia zu lieben, eine Studentin der Politikwissenschaften, baute er aus dem Naturteich einen Natur-Whirlpool und ergänzte sein Klimaticket um ein Elektroauto. Und relativ oft wünschte er sich, dass er sich doch vor drei Jahren nicht einfach hätte scheiden lassen sollen.
Harald, 29. September 2023