Im Jahre 15 der Herrschaft des Volkskanzlers Kickl – eine neue Zeitrechnung hatte begonnen – gab es mit zwei Ausnahmen im Parlament nur noch Parteien, die nach alkoholischen Getränken benannt waren.
Es gab eine Bierpartei, eine Mostpartei, eine Absinthpartei und natürlich eine Schaumweinpartei. Daneben existierten als die beiden Ausnahmen noch eine Buttermilchpartei, die eine Art Sammelbecken für alle politischen Loser verkörperte, und die Raiffeisenpartei, die auf ausdrücklichen Wunsch des Großen Kaki, des großen Kanzlers Kickl, gegründet worden war, der die stilisierten Pferdeköpfe im Parteilogo über alles schätzte.
Eine Partei, die sich Volkspartei nennen durfte, gab es nicht mehr. Es war schon ausreichend, dass es einen Volkskanzler gab, der bestimmte und der erklärt hatte, dass ohnehin alle Parteien Volksparteien seien.
Die Parteien im Parlament hatten aber nichts mitzureden, da der gütige Kaki in väterlicher Manier sowieso alle Entscheidungen traf, indem er zahlreiche Dekrete absonderte und manchmal auch Sekrete.
Das einzige, worüber die Parteien in einem streng vorgegebenen Rahmen abstimmen durften, war ihr eigenes Budget.
Der Abgeordnete Otto Flott von der Buttermilchpartei war eines Tages des Verliererimages überdrüssig, das seine Gesinnungsgemeinschaft repräsentierte, und stellte einen Antrag auf Mitgliedschaft bei der Schaumweinpartei.
Deren Funktionäre reagierten hocherfreut auf das Ansinnen Flotts, stellten allerdings eine Bedingung für die Aufnahme. Da die übrigen Parteien einen Antrag auf Kürzung des Budgets der Schaumweinpartei eingebracht hatten, über den am selben Tag noch vor der Sommerpause abgestimmt werden sollte, wollten die Mitglieder der Schaumweinpartei durch eine Filibusterrede verhindern, dass die Abstimmung durchgeführt werden konnte. Wenn Otto Flott sich nun bereit erklärte, die Filibusterrede zu halten, stünde seiner Aufnahme in die Schaumweinpartei nichts im Wege.
Otto Flott, der keine Erfahrung mit längeren Reden besaß, fühlte sich geschmeichelt und versprach, dass er sich anstrengen und sein Bestes geben wolle. Er bat allerdings seine neuen Fraktionskollegen um Rat und Hilfe, damit er auch alles richtig machte.
Das Wichtigste sei, erklärten die Kollegen, dass man sich einen Themenkatalog zurechtlegte und genügend Material mitnähme, aus dem man zitieren könne, damit die Filibusterrede die gewünschte Länge erreichte. Sie, die Kollegen, erwarteten von ihm, Otto Flott, dass er eine neue Bestmarke aufstellte; der aktuelle Rekord liege übrigens bei 26 Stunden.
Otto Flott legte sich voll ins Zeug, bunkerte Telefonbücher, biografische Lobeshymnen auf den Kaki und Operationsprotokolle von Hämorrhoidenverödungen, die ihm anonym zugespielt worden waren.
Seine Rede, versprach er, werde mindestens 27 Stunden dauern. Was ihm allerdings zu schaffen machen könnte, sei sein großes Lampenfieber.
Das sei kein Problem, erwiderte Philipp Schluck von der Schaumweinpartei. Er, Otto Flott, solle tüchtig mit Champagner vorglühen, und kurz vor Beginn der Rede noch einmal mit einem Fläschchen nachspülen. Dann würden sich Esprit und Vigilanz zwangsläufig einstellen.
Otto Flott, der in seiner früheren Partei bloß Buttermilch konsumiert hatte, war Feuer und Flamme für diesen Vorschlag. Während er seine Unterlagen neben dem Rednerpult stapelte, becherte er Champagner, was das Zeug hielt. Er fühlte sich ungeheuer beschwingt.
Als der Präsident ihm schließlich das Wort erteilte, kippte er sich in Windeseile noch ein weiteres Fläschchen hinter die Binde, wankte zum Rednerpult, begann unverständlich zu murmeln, sackte zu Boden und schlief auf der Stelle ein.
Irgendwann kam er im Männerschlafsaal des Parlaments wieder zu sich und öffnete die Augen. Er blickte ins Gesicht von Philipp Schluck und fragte, wie viele Zeiteinheiten er geschafft hätte.
Es seien 27 gewesen, erwiderte Schluck, leider jedoch keine Stunden, sondern lediglich Sekunden. Die Budgetkürzung zu Ungunsten der Schaumweinpartei sei leider beschlossen worden.
Die Kollegen seien daraufhin einstimmig übereingekommen, ihn, Otto Flott, sofort wieder aus der Schaumweinpartei auszuschließen. Er, Schluck, sei zum Überbringer der Nachricht auserkoren worden.
Otto Flott machte ein betrübtes Gesicht.
Es gebe aber, setzte Schluck fort, für ihn, Flott, auch gute Nachrichten. Die Buttermilchpartei habe ihn freudig wieder in ihren Schoß aufgenommen, und der große Kaki, den der Auftritt sehr erheitert habe, wolle ihm, Flott, einen Orden verleihen, wahrscheinlich das große eiserne Ausnüchterungskreuz am blauen Gängelband.
Michael, 13. Oktober 2023