Rudolf war in einer kleinen Teppich-Weberei aufgewachsen und übernahm später den elterlichen Betrieb. Die Hoch-Zeiten waren vorüber und würden auch nicht mehr kommen. Während seine Eltern noch im Schichtbetrieb das Unternehmen mit 25 MitarbeiterInnen leiteten, konnte Rudolf mit drei MitarbeiterInnen und seiner Ehefrau gerade so über die Runden kommen. Als Unternehmer war es gewohnt, dass ihm alle möglichen Berater irgendetwas verkaufen wollten. Er müsse den Vertrieb über social media stärken, die Produktion nach der MTM-Methode neu planen und eine Mitarbeiterin abbauen. Jedes Mal sagte Rudolf Nein, Nein zu lächerlichen Postings in dämlichen Netzwerken, Nein zur Optimierung, Nein zur Quantität. Der Vertrieb dieser Teppiche war im Übrigen nicht einmal das Hauptproblem, sondern das Besorgen von hochwertiger Baumwolle, die in Bahnen geschnitten und anschließend in bestimmten Mustern aneinandergenäht wurden. Rudolf wusste, dass viele Menschen billige Plastikfasern trugen und so der Einkauf immer schwieriger wurde. Dann kam noch dazu, dass ein Nachfolger weit und breit nicht in Sicht war. Rudolfs einziger Sohn arbeitete als Tastenhengst in einem Konzern, dessen Name er sich partout nicht merken wollte. Manchmal interessierten sich einige Menschen für die Produktion und er machte kleine Führungen. In zwei Monaten würde er gemeinsam mit seiner Frau in Pension gehen und die Mitarbeiterinnen waren über das Ende bereits informiert. Er hatte vor 25 Jahren zu seinem 40. Geburtstag eine große Champagnerflasche als Geschenk von seinen Eltern bekommen und beschloss, diesen am letzten Tag der Teppich-Weberei gemeinsam mit den Mitarbeiterinnen zu trinken. Er hatte den Champagner bereits eingekühlt, als es an der Türe klingelte. Vor ihm stand eine relativ junge Frau, die ihm sehr bekannt vorkam. Die Managerin – für Rudolf einer dieser Bullshit-Jobs – kannte er aus der Zeitung und sie war auch vor einigen Monaten bei einer Führung bei ihm. „Ich verkaufe sicher an keinen Konzern, den Weg hätten Sie sich sparen können“, eröffnete Rudolf zur Begrüßung. Schnell war aber klar, dass Nicole als Privatperson Interesse an einem echten Beruf und die Nase voll diesen Meetings hatte. Drei Tage vor Ende des Betriebs gab es plötzlich Hoffnung. Zwei Tage vor Ende des Betriebs kam der Tastenhengst zu Besuch und wollte Papa trösten, dass eine 125-jährige Tradition nun zu Ende ging. Einen Tag vor Ende des Betriebs war klar, dass die Managerin und der Tastenhengst den Betrieb mit den drei Mitarbeiterinnen tatsächlich unbedingt fortführen wollten. So saßen am vermeintlich letzten Arbeitstag alle an einem Tisch und probierten den Champagner. Dieser war trotz des hohen Alters von besonderer Güte und es entstand an diesem Tisch etwas, dass weit über die Anwesenden hinausging. Eine Besinnung, die Europa in Zukunft erfassen dürfte und eine Hoffnung, die nachhaltiger denn je war. Dass Rudolf wohl nur anfangs damit Recht hatte, dass sein Sohn deutlich mehr Interesse an Nicole als an der Teppich-Weberei zeigte, tangierte ihn nicht weiter. Schließlich verkauft das kleine Team aus dem Innviertel Teppiche, die der Kunde beliebig zusammenstellen lassen kann, zu einem für beide Seiten vernünftigen Preis mittlerweile auch ins Ausland. Jetzt im Herbst wird wohl die dritte Schicht wieder aufgenommen während die social media – Nutzer und Bullshit-Jobs immer weniger werden.
Harald, 13. Oktober 2023