Markus, kürzlich geschieden, lebte weiterhin in seiner Villa, die er unbedingt behalten wollte und so seine Frau großzügig abfand. Seine neue Freundin war sicherlich ein Klassiker, ähnlich seiner Frau, nur in der deutlich jüngeren Version. Die Schuldfrage hatte Markus für sich dabei schon lange geklärt, schließlich würde die Ehe dem Menschen allein evolutionsbiologisch in keiner Weise gerecht werden. Diese bürgerliche Lüge könnte wohl noch lange aufrechterhalten werden, für ihn aber eindeutig der völlig falsche Weg. In einem Buch hatte er vom Menschen als schizosexuelles Wesen gelesen, was ihn in seiner Annahme deutlich bestärkte. Ihm war klar, dass er auch Susanne ihre Freiheiten lassen musste und die Kleinfamilie hatte er ebenfalls endgültig satt. In der Siedlung, in der er lebte, handelte es sich meist um Einfamilienhäuser und seine Villa stach neben einer zweiten dort deutlich heraus. Die Menschen waren ganzen Tag damit beschäftigt, irgendwie Karriere, Kinder, Partnerschaft und sich selbst unter einen Hut zu bringen. Markus hatte schon lange die Idee gehabt, die Villa am Wochenende für alle zu öffnen und im ersten Stock zu Empfängen zu laden. Die Nachbarn, nein eigentlich die Nachbarinnen, waren anfangs sehr skeptisch. Von Miflife-Crisis bis zu sexuell ausschweifenden Orgien reichten die Meinungen, wobei Markus ersteres strikt ausschloss. Beim ersten Empfang waren nur wenige aus dem Ort gekommen und die Unterhaltungen wirkten noch ein wenig zurückhaltend. Bei den folgenden Empfängen kamen mehr Personen, der Champagner wurde immer gratis ausgeschenkt und die Stimmung wurde deutlich lockerer. Meist schlief Markus in diesen Nächten mit Susanne, wobei manche Ausnahmen auf beiden Seiten die Regel bestätigten. Auch Jüngere nutzten nun die Villa immer mehr und vom Arbeiterkind bis zur angehenden Akademikerin schätzten die Umgebung sehr. Dieser generationenübergreifende Austausch veränderte den Ort, selbst konservativere Schichten konnten den positiven Unterschied kaum mehr abstreiten. Als Susanne und Markus den 911er auch noch zum Verborgen anfingen, sie brauchten ihn meist in der Woche nur ein- bis zweimal, war der Wandel fast perfekt. Keiner sprach noch von seiner perfekten Ehe, von lebenslangen Versprechungen, von Herrschaft bzw. Knechtschaft, von Alles-muss-so-bleiben-wie-es-ist und die Entspannung erreichte alle. Kinder liefen durch offene Gärten, jeder passte mal auf, die Spiele waren nicht mehr von Aggression und Mobbing bzw. Ausschluss getragen, sondern der Spaß war das Entscheidende. Nur ein ehemaliger Umfragekaiser einer Partei sitzt fassungslos zuhause und kann nur zusehen, wie Markus und Susanne einen Flächenbrand in die Welt gesetzt haben, der einen Ort nach dem anderen erreicht und seine Partei in die Unbedeutsamkeit stürzt.
Harald, 24. November 2023.