Ich erinnere mich noch gut an die Worte, als mir meine ach so guten Freunde ein lebendes Schwein zum Dreißiger geschenkt haben. „Schau, dass bringt Dir sicher Glück, auch wenn Du Vegetarier bist“, prusteten sie vor sich hin und wünschten hämisch alles Gute zum Geburtstag. Zornig war ich und stinksauer. Diese blöden Männer schenkten mir tatsächlich ein lebendes Tier. Ich wollte es schnellstens loswerden und hatte größte Sorgen, dass sich meine Frau wegen des an mir haftenden Tiergeruchs von mir abwenden würde. Dem war auch so, es wurde gemeckert, warum ich seit neuestem nach Schwein riechen würde. Meine Frau wollte sich scheiden lassen. Das Schwein musste also weg, was ich diesem auch klipp und klar mitteilte. Es grunzte unzufrieden und bewegte den Kopf mehrmals in Richtung meiner Tageszeitung. Wenn es die Zeitung als Henkersmahlzeit begehrte, sollte es diese doch haben. Ich warf die Tageszeitung dem Schwein zum Fraß vor und schaute zu, wie es die Zeitung genüsslich zu sich nahm. Merkwürdigerweise lies es eine kleine Zeile aus und bewegte den Kopf wieder wissend hin und her. Ich nahm die Zeile und sah den Aktienkurs von Netflix. „Was soll bitteschön Netflix sein“, fragte ich Richtung Schwein. Egal, ich ging zu meinem Bankberater und beauftragte ihn Netflix zu kaufen. „Netflix? Das ist ein Blödsinn, das kann ich ihnen gleich sagen“, meinte dieser. Ich beharrte auf den Kauf. Das Schwein habe ich aus irgendeinem Grund doch behalten und es bekam einmal in der Woche meine Tageszeitung zum Fressen. So kaufte ich in weiterer Folge u. a. Pool Corp., Cooper Cos., Biogen und Monster Energy. Ich hatte keine Ahnung, was diese Firmen machten und mein Bankberater wollte mich damals schon besachwaltern lassen. Selbst meine Verwandten hielten mich für einen Idioten, der als Vegetarier ein Schwein durchfüttern und aufgrund eines Schweinsorakels No-Name-Aktien kaufen würde. Mein Geld war alle, ich hatte fast 100.000 Euro in diese Aktien gesteckt. Egal, ich lebte glücklich weiter und das Schwein behielt ich, es war mir ans Herz gewachsen. Meine Frau verließ mich, was ich doch sehr bedauerte. Das Schwein bekam später von mir keine Zeitungen mehr, sondern gute Küchenabfälle bzw. kaufte ich auch manchmal bestes Fressen für Gundula. Ja, ich habe dem Schwein einen Namen gegeben, warum auch immer. Beruflich war ich halbwegs erfolgreich und konnte so das Haus mit meiner Mitbewohnerin behalten. Kurz nach meinem fünfzigsten Geburtstag verstarb das Schwein. Ich zahlte ihm ein Begräbnis und trauerte eine Woche lang. Nach dieser Woche erinnerte ich mich an den Aktienkauf und begab mich zur Bank. Ich erkundigte mich nach meinem Schweinedepot. Als der Filialleiter kurz darauf herauskam und mich überaus freundlich begrüßte, kam mir das schon etwas komisch vor. Ich sollte doch in die Stadt fahren, dort würde der Bankdirektor der Landesstelle bereits auf mich warten. „Haben die Gebühren den Wert dieser Aktien überschritten und bin ich diese nun über 20 Jahre schuldig geblieben?“, fragte ich mich nichtsahnend. Nach fünf Minuten im Gespräch mit dem Landesdirektor verlor ich die Geduld und meinte, dass ich nun endlich wissen möchte, was es mit meinem Depot auf sich hat. Ich brauchte einen Stuhl, ein Glas Champagner, das mir sofort angeboten wurde und forderte zur Wiederholung des Wertes auf. „Ihr Depot ist mit heutigem Stand 54,75 Millionen Euro Wert“, meinte der Landesdirektor mit dem gleichzeitigen Hinweis, dass er mich sehr gerne weiter betreuen würde, selbstverständlich im Private-Banking-Sektor der Bank. Was soll ich sagen, das Schwein hatte mich tatsächlich reich gemacht. Meinen ehemaligen Freunden, von denen ich das Schwein erhielt, schenkte ich zu deren Verwunderung je 100.000 Euro als kleines Dankeschön. Das Schwein ließ ich nachbauen und stellte es auf den Esstisch meiner neuen Villa. Das Singleleben gab ich wieder auf und ich wohne mittlerweile mit zwei Frauen unter einem Dach, die zumindest addiert das Alter meiner ehemaligen Frau erreichen, was mich doch des langen Singlelebens entschädigt. Als Vegetarier finde ich es übrigens gerecht, dass Schweinsbratenesser nicht reich werden können.
Harald, 1. Dezember 2023