Gänswein

Franz ist ein Hallodri. 

Es ginge ihr nicht in den Sinn, sagt Katharina, dass einer, der genau so heiße wie der Papst, ein solcher Windhund sei. Er sei auch genau so dick wie der Heilige Vater und fahre trotzdem betrunken auf der falschen Stra­ßenseite mit seinem Damenmoped bei Nebel vom Wirtshaus nach Hause. Das würde der Pontifex, an dem er, Franz, sich ein Beispiel nehmen solle, nie tun. 

In Rom, kontert Franz, gäbe es auch keine gescheiten Wirtshäuser und außerdem könne Franziskus sich wohl ein Taxi leisten oder sich vom Gänswein abholen las­sen, wenn er schon einmal außerhalb des Vatikans einen über den Durst getrun­ken hätte. 

Nein, nein, widerspricht Katharina, der Gänswein sei gar nicht mehr in Rom, den habe Franziskus heimgeschickt nach Deutschland, der könne ihn also schwerlich vom Wirtshaus abholen. 

Er habe es sich gleich gedacht, sagt Franz, dass der Vergleich mit dem Papst hinke, und er halte hiermit fest, dass er, Franz, überhaupt nicht abgeholt werden wolle, weil die Heimfahrt mit dem Damenmo­ped jedes Mal sehr lustig sei, auch wenn er betrunken sei.

Aber sie könne ihn doch holen, sagt Katharina, das mache sie sehr gern. 

Das sei natürlich etwas an­deres, ruft Franz. Von ihr lasse er sich jederzeit abholen und nicht nur das, son­dern auch abschleppen, wenn sie verstehe,  was er meine. 

Das verstehe sie sehr wohl, entgegnet Katharina. Das Abschleppen sei aber eine feierliche Tätig­keit, zu der man natürlich ein genauso feierliches Getränk benötige, ein geistiges oder ein geistreiches, und da sei Champagner am geeignetsten.

Oho, entfährt es Franz. Es werde ja immer besser! Er habe ja in seinem Leben schon alles getrunken, was auch nur entfernt an Alkohol erinnere. Für Champag­ner habe es allerdings noch nie gereicht. Er sei mit Freuden dabei.

Dann habe sie gleich eine Aufgabe für ihn, sagt Katharina. Er solle mit seinem Damenmoped zur Quiriniusquelle hinausfahren, dort einen Sektkübel mit Quell­wasser füllen und das Gefäß auf dem Gepäckträger seines Gefährts auf einer ge­schotterten Forststraße transportieren, ohne die Flüssigkeit während der Fahrt zu verschütten. Wenn er das schaffe, werde sie, Katharina, sich ihm in ihrem Gar­tenhäuschen hingeben. Er solle gleich losfahren. Sie besorge mit ihrem Jeep in­zwischen noch eine Flasche Champagner und hole ihn, Franz, später im Walde­marwäldchen ab, wo er sein Moped verstecken könne. 

Franz kommt der ganze Plan reichlich kompliziert vor. Er willigt aber ein, weil Katharina versprochen hat, dass sie sich ihm hingeben würde. Katharina befestigt den Sektkübel mit einem Expander auf dem Gepäckträger des Mopeds und gibt Franz anschließend einen Klaps auf die Schulter, als Zeichen dafür, dass er sich nun auf den Weg ma­chen könne.

Franz knattert in Richtung Quiriniusquelle los. Katharina steigt in ihren Jeep und fährt zum Getränkemarkt. Einige Zeit später treffen sie sich wie ausgemacht im Waldemarwäldchen. 

Sie habe ihren Teil der Abmachung einge­halten, sagt Katharina, und eine Flasche Champagner besorgt. 

Sie inspiziert den Sektkübel auf Franzens Moped und stellt fest, dass das Behältnis leer ist.

Er sei ein Schussel, sagt sie zu Franz, und natürlich auch ein Hallodri und ein Wind­hund. Nicht einmal die einfachsten Aufgaben könne man ihm aufbürden. Unter den gegebenen Umständen werde sie sich ihm nicht in ihrem Gartenhäus­chen hingeben.

Franz, der sich schon sehr auf das erotische Abenteuer gefreut hat, lässt seiner Enttäuschung freien Lauf. Er finde es höchst bedauernswert, sagt er zu Katharina. Es sei aber von vornherein unmöglich gewesen, das Quellwasser in dem Kübel auf dem Moped nicht zu verschütten. Dass sie, Katharina, sich ihm nun nicht hingebe, finde er äußerst ungerecht. 

Sie habe nur gesagt, dass sie sich ihm im Gartenhäuschen nicht hingeben wolle, erwidert Katharina. Sie habe aber nichts dagegen, wenn sie sich an Ort und Stelle im Waldemarwäldchen vergnügten. In diesem Fall müssten sie eben den Champagner lauwarm aus der Flasche trinken. 

Das mache ihm überhaupt nichts aus, ruft Franz und fängt an, sich zu entkleiden. Katharina tut es ihm nach. Plötzlich springt ein Mann in einer Soutane hinter einem Haselnussstrauch hervor und gebietet ihnen Einhalt. 

Franz, der diese Einlage für einen schlechten Scherz hält, fragt Katharina, wer der Fremde sei. 

Es handle sich wohl um den ehemaligen Sekretär des Papstes, Gänswein, sagt Katharina. Sie habe aber mit seinem Erscheinen nicht das Mindeste zu tun. 

Ganz recht, ruft der Geistliche. Er streife stets aus eigenem Antrieb durch die Wälder, um uneheliche Unzucht zu verhindern. 

Katharina fragt Gänswein, ob er ihr Gespräch von Anfang an belauscht hätte. 

Der Geistliche nickt und bekräftigt, dass es ihm offensichtlich gelungen sei, einen Fall von außerehelicher Unzucht zu verhindern. 

Franz, dessen Libido sich allmählich dem Siedepunkt nähert, lässt den Sittenwächter seinen Unmut spüren. Er, Gänswein, solle sich gefälligst überlegen, wie sie aus dieser Nummer wieder heraus kämen, beziehungsweise, wie er, Franz, in die Nummer wieder hinein käme. 

Es sei doch ganz einfach, strahlt Gänswein. Er wolle ihn, Franz, und sie, Katharina, auf der Stelle trauen, dann seien sie Mann und Frau und könnten ergo auch vor dem Herrn jederzeit ein Fleisch sein, wenn es sie danach gelüste.

Katharina und Franz willigen spontan ein, woraufhin Gänswein sie in einer schlichten Zeremonie traut. Anschließend öffnet Katharina den lauwarmen Champagner. Zu dritt stoßen sie an auf die Freuden der Ehe und leeren in kürzester Zeit die ganze Flasche. 

Nun sei es Zeit, sagt Gänswein dann, dass er sich wieder auf den Weg mache, um weitere unverheiratete Paare aufzuspüren, die im Begriff seien, der unkeuschen Sünde anheim zu fallen. Er verabschiedet sich und verschwindet wieder hinter dem Haselnussstrauch. 

Franz ist erleichtert und froh, als Katharina sich ihm endlich hingibt, und er ist hoch konzentriert bei der Sache, und es stört ihn nicht im Geringsten, dass es nicht in einem Gartenhäuschen geschieht.

Michael, 08. Dezember 2023.

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