„Das darf doch nicht erlaubt sein“, riefen sie. „Das gehört doch verboten“, schrien andere. Dritte applaudierten einfach nur. Jedenfalls durfte weder Krampus noch Nikolaus irgendwo auftreten, geschweige denn ein Auto mit Benzinantrieb gestartet werden. Generell durfte die Wohnstätte nur verlassen werden, wenn in der Bürgerapp bestätigt werden konnte, dass keine Gefahr von einem ausging. Dazu luden sie Gesundheitsbescheinigungen, psychologische Gutachten und Gesinnungsbestätigungen hoch. Manchmal erhielten sie trotzdem keine Freigabe, weil die Messparameter im Außenbereich zu hohe CO2-Werte aufwiesen. Bernhard wusste nicht warum, aber während eines Außenaufenthalts blieb er stehen und sah sich um. Wenige Menschen gingen gebeugt durch die Gassen, eine junge Frau fuhr mit 15 km/h, die erlaubte Höchstgeschwindigkeit im Ortsgebiet, an ihm vorbei. Er richtete sich zuerst auf. Es war kalt draußen im Dezember. Im Schaufenster lief ein Fernseher, der drei Pädagoginnen und zwei Psychologen von früheren anarchischen Bräuchen diskutierend zeigte. Bernhard drehte um, ging zu seinem kleinen Haus und öffnete die Garage. Er kramte eine Zeit lang in verschiedenem Krempel, dann fand er die Krampusmaske, die Rute und das Fell. Was hatte er für einen Heidenspaß, als er durch die Gassen rannte. Die Leute liefen davon, kreischten, aber schienen seit langem wieder Freude zu haben und waren ungewohnt lebendig. Zuhause angekommen, seine App am Handy blinkte nur mehr rot, gab er die Decken von seinem alten Hummer H1. Der Zündschlüssel steckte und der Hummer war laut Anzeige vollgetankt. Als Bernhard den Motor startete, glaubten die Nachbarn an ein Erdbeben. Im Rückwärtsgang hätte er fast zwei Polizistinnen überfahren, die mit offenen Mündern angesichts dieses Motorengeräusches wie angewurzelt dastanden. Die Zufahrtsstraße wurde bereits mit 70 km/h gemeistert. Auf der Stadtautobahn beschleunigte er den Wagen auf 210 km/h, der Verbrauch jenseits der 30 Liter. Mittlerweile schien der ganze Apparat hinter ihm her zu sein, aber keiner hatte mehr Erfahrung, wie auf diese Art der Fortbewegung bzw. des generellen Lebens reagiert werden sollte. Schnell gab es Demonstrationen, dass so etwas verboten gehört. Nur ein kleines Grüppchen veranstaltete eine Gegendemonstration. Franz schloss sich dieser an und untermalte das Ganze mit einer tragbaren Teufel-Bluetooth-Box, die Hells bells herausschmetterte. Einige hatten ihre alten Krampusmasken auf und so wurde es um den Nikolaustag ungewöhnlich gemütlich für Bernhard. Es dauerte es nur kurze Zeit als die Gegendemonstranten deutlich in der Überzahl war. Sie wollten wieder laute Musik hören, Benzinfresser fahren, Krampusglocken hören, zu Silvester die Umwelt mit Raketen, Krachern und viel Schwefel verpesten. Nicht einmal ein Tag wurde von den moralinsauren Bürgerinnen und Bürger für das Leben übriggelassen, sie waren alle vor ihrem Tod gestorben. Wenige Tage später gab es wieder den ersten offiziellen Krampuslauf im Dezember seit über 20 Jahren. Die Bürgerapp wurde in Massen gelöscht und auf den Straßen fuhren alte Autos. Es passierten wieder Unfälle, es gab Tote und gleichzeitig pulsierte das Leben. Dass Bernhard als alter weißer Mann nun eine junge Frau aus dem bürgerlichen Moralsumpf retten konnte, machte ihn sichtlich stolz. Champagnertrinkend, schreiend, aus dem Fenster lehnend, fuhren sie die Straße stockbesoffen mit dem Hummer H1 hinunter, Poison von Alice Cooper untermalte den kleinen Ausflug. Dass mittlerweile dreißig Prozent der Straßen Rue de liberté genannt wurden, war wohl Bernhard zu verdanken. Verkehrswissenschaftler diskutieren seitdem intensiv, warum Menschen trotz der Gefahren diese Freiheitsstraßen so präferieren. Sie hätten nur in das Auto von Bernhard einen Blick werfen müssen. Er legte die Hand auf den Oberschenkel seiner hübschen Begleitung und wusste, den Tod, aber auch das Leben brauchte er nicht mehr zu fürchten.
Harald, 08. Dezember 2023.
