Champagner auf der Burg

Christon hatte in seinem Leben viel erreicht. Ein Großauftrag in den 90er-Jahren sorgte dafür, dass er einen neuen Produktionstandort errichten und viel automatisieren konnte. So gehörte Christon zu den unbestrittenen Unternehmergrößen in Österreich. Kurz nach Weihnachten verspürte er den Wunsch, noch einmal mit seiner um 53 Jahren jüngeren Ehefrau, einen Champagnerempfang auf einer richtigen Burg in diesem zu Ende gehenden Jahr zu geben. Alle kamen, Politikerinnen und Politiker, Größen aus der Wirtschaft und Kunst sowie enge Freunde. Es wurde opulent gegessen, gefeiert und der Champagner floss in Strömen bis weit nach Mitternacht. Ein Feuerwerk wurde abgeschossen, wie es die Stadt schon lange nicht mehr gesehen hatte. Um 04.30 verließen die letzten Gäste die Burg und Christon saß am langen Tisch seiner Ehefrau gegenüber. Er wurde plötzlich sehr ernst. „Karin, Du bist die love of my life, vergiss das nie. Mein Leben geht – das spüre ich – noch in diesem Jahr zu Ende. Aber ich erzähle Dir von einer zwei Jahrzehnte zurückliegenden Séance“, führte er aus. In dieser Séance wäre der Kontakt zu Gabriel über ein Quija-Brett zustande gekommen. Gabriel war keine Einzelperson, sondern eine Gruppe von Seelen mit hohem Entwicklungsstand. So erfuhr Christon, dass er den Seelentyp „König“ hätte. Aufgeregt teilte er seiner jungen Ehefrau mit, dass er wiedergeboren würde und sie soll in ca. dreißig Jahren nach einem König Ausschau halten. In einem Rauhnachtstraum glaubte er ein südliches Land zu sehen. Karin tat das als typisches Champagner-Gesäusel ab und vergaß das Gespräch. Zwei Tage später war Christon tot. Sie lebte als sehr, sehr reiche Witwe weiter, bis auf wenige kürzere Amouren blieb sie alleine und vergaß Christon nicht. Nach 27 Jahren träumte sie kurz nach Beginn der Rauhnächte von einem südlichen Land und sah ganz deutlich einen aufstrebenden Politiker. Sie bereiste nur eine Woche später Italien, zog weiter nach Griechenland, flog nach Albanien und wurde auch im Kosovo nicht fündig. In sämtlichen Ländern war keine Spur von Christon zu finden. Auf Malta las sie in einer Zeitung, dass Korsika als Teil Frankreichs ebenfalls als südliches Land zu sehen wäre. Bereits am nächsten Morgen zog sie durch die engen Gassen von Saint-Florent und stieß in einem Café auf einen jungen Lokalpolitiker. Sie sah ihn und er sah sie. „Est-ce qu’on se connaît?“, fragte er. Karin nickte. „Je suis à la recherche de l’amour de ma vie“, sagte er. Karin nickte wieder und meinte: „Ja, ich weiß, Du bist auf der Suche nach der love of your life“. Sie wurden noch in dieser Nacht ein Paar. Karin war mehr als glücklich, Christon war als junger Liebhaber einfach umwerfend und das lange Warten hatte sich wirklich gelohnt. Dass er in einigen Jahren Präsident von Frankreich werden würde, war Karin zu diesem Zeitpunkt bereits völlig klar.

Harald, 29. Dezember 2023.

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