„Mein Beruf ist Udo“, sagte ich der Kellnerin im oberstes Stockwerk an der Hotelbar und bestellte Champagner während ich meinen Hut zurechtrückte. „Darf ich ein Autogramm haben, Udo?“, fragte sie mich, als ich nach sieben Champagner einen Cocktail mit Champagnerschaum zur Abwechslung bestellte. Ich nuschelte ein Ja und verzierte meine Unterschrift mit einem Herzen. Dieser Abend lief wie zweihundert Abende zuvor auch. Ich würde weder die Getränke bezahlen, noch in der Nacht alleine schlafen. Udo zu sein, war wieder einmal ein echter Vorteil. Ich nahm eine Stunde später die Kellnerin an der Hand. Was jetzt folgen würde, war eine Nacht, die einen Altersunterschied von Jahrzehnten wieder einmal unwichtig erschienen ließ. Wir verließen den Barbereich und wechselten in den dritten Stock, wo sich die Räumlichkeiten der Belegschaft befanden. Als der Lift überraschenderweise nicht hielt, ergriff ich die Gelegenheit und küsste Nicole. Irgendetwas ließ mich hellhörig werden. Der Kuss wurde nicht so richtig erwidert, zumindest nicht in der Weise, dass Nicole und ich in wenigen Minuten nackt in einem Bett liegen würden. Ich drückte den Knopf und der Lift hielt im ersten Stock. Es öffnete sich die Tür und zu meiner Überraschung stand Udo vor der Tür. „Hey Udo“, sagte ich, „das ist Nicole“ und zerrte ihn in den Lift während ich im letzten Moment aus dem Lift hüpfte. Ich schmiß den Hut auf den Gang und meine Jacke drückte ich einem älteren Ehepaar in die Hand. Im Erdgeschoß zu Fuß angekommen, sah ich fünf Polizisten, die gerade Udo verhafteten. Er versuchte ohne Ausweis klar zu machen, dass er Udo war. „Jeder Tag ist gleich lang, aber nicht gleich breit“, meinte er während ihm Handschellen angelegt wurden. Ich verließ das Hotel und mir war klar, dass es mit dieser Masche vorbei war. Ab nun müsste ich tatsächlich Eierlikör, Udos Lieblingsgetränk, trinken, um weiterhin junge Kellnerinnen beeindrucken zu können. Aber das war es mir auch Wert und ich schüttete ab nun Eierlikör in rauen Mengen in mich hinein. Keine einzige hegte danach auch nur einmal einen Verdacht, dass mein Beruf doch nicht Udo sein könnte und der Ausblick auf die Alster beeindruckte mich nach jeder Nacht aufs Neue.
Harald, 19. Jänner 2024.