Unveränderbar

Immer wenn ich eine Geschwindigkeitsanzeige mit einem Smiley sah, gab ich Gas und erfreute mich an den nach unten gezogenen Mundwinkeln, obwohl ich sonst gar nicht so schnell im Ortsgebiet unterwegs war. Bei den Ü-30-Partys musste ich meinen Ausweis schon seit längerer Zeit nicht mehr vorlegen, was vielleicht auch mit meinem 65. Geburtstag zusammenhing. Ich fühlte mich dort trotzdem immer noch fast zu jung. Meist im vollbesetzten 8er-Performance-BMW mit 630 PS raste ich hin und nach viel Saufen, Tanzen und Schmusen wieder heim. Es ging immer gut, bis zu jenem Samstag, der in die Verkehrsgeschichte einging. Der älteste Disco-Raser verunglückte und löste eine Diskussion über eine unbelehrbare Generation aus. Im Ort hatten sie es schon immer gewusst, dass dieser ewig Junggebliebene nicht immer so weiter machen könnte. Beim Begräbnis rechnete ich mit viel Häme, wurde ich doch mit meiner Lebensfreude immer als Querulant wahrgenommen. Das Saufen passte schon, aber dann doch besser im Wirtshaus oder zu Hause und mit deutlich weniger guter Laune. So lag ich tot im Unfallwrack und bereute mal wieder nichts. Ich traf auch gleich im Andersreich eine ziemlich coole Truppe, die jeden Samstag um Mitternacht ein Geisterrennen am Salzburgring veranstaltete. Vollgas war dort anscheinend angesagt, tödlich verunglücken gar nicht mehr möglich, somit sicher ein Mordsspaß. Die Mädels waren dort ebenfalls ganz nach meinem Geschmack und ich wollte gleich beim nächsten Rennen dabei sein. Eine Blondine strich mir mit ihrer Hand über meine Wange, meinte, sie würde Siegertypen sofort erkennen. Ich grinste und dann kam plötzlich ein Filmriss. Ich war jetzt echt verärgert, schließlich lief es eigentlich gerade richtig gut. Langsam öffnete ich meine Augen und sah in die Augen einer Notärztin, die mich erleichtert anlächelte. „CPR erfolgreich“, waren ihre ersten Worte. Ich war mir nicht sicher, ob hier Erfolg das richtige Wort war, keine Blondine, keine irren Mitternachtsrennen. Als ich mich im Krankenhaus wieder vollständig erholte, besuchte mich die Notärztin öfter. Gleich fielen mir ihre blonden Haare auf, ihr hübsches Gesicht und ich lud sie ein, mich doch bei einer der nächsten Ü-30-Partys zu begleiten. Sie verneinte verlegen und meinte, dass sie da aufgrund ihres Alters noch ein Jahr warten müsste. „Das ist wirklich kein Problem“, antwortete ich wahrheitsgemäß. Zwei Monate später fuhr ich mit Anna am Beifahrersitz und drei Freunden auf der Rückbank Richtung Simbach zur Ü-30-Party. Ich nutzte mittlerweile einen nagelneuen elektrischen BMW I4 mit nur mehr 520 PS, hatte zur Vorsicht eine Notärztin am Beifahrersitz und beschloss, die 200 km/h – Grenze auf der Landstraße nicht mehr zu überschreiten. Und da soll noch einer sagen, meine Generation könnte sich nicht ändern. 

Harald, 23. Februar 2024.

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