Eine besoffene Geschichte

Einmal ließ ich mich bei einer Prahlerei am regelmäßigen Wirtshausstammtisch der Opernkomponisten zu einer blödsinnigen Wette verleiten: Ich wettete mit meinem Kollegen Besenbinder, dass ich es schaffen würde, in der folgenden Nacht eine vollständige Oper samt Libretto zu schreiben, die ich meinen Kompo­nistenfreunden am nächsten Morgen beim Katerfrühstück präsentieren wollte. Wenn ich es nicht schaffte, müsste ich meine Seele dem Teufel überschreiben. Wäre ich hingegen erfolgreich, bekäme der Satan die Seele des Kollegen Besen­binder.

Ich hörte sofort zu zechen auf und machte mich sogleich auf den Heim­weg. Erst zu Hause, als ich ins Bett stieg, wurde mir mein Leichtsinn bewusst. Ich stellte meinen Wecker auf 3 Uhr 30, damit ich im Morgengrauen wenigstens einen Versuch unternehmen konnte, die Oper zu schreiben.

Viel Hoffnung mach­te ich mir nicht. Es war mir klar, dass mir bloß ein Wunder helfen konnte. Zu mei­nem Glück fiel ich bald in einen wenn auch unruhigen Schlaf. Im Traum er­schien mir ein Geist, dem ich mein Herz ausschüttete.

Er sehe überhaupt keine Schwierigkeiten, strahlte der Geist, nachdem ich geendet hatte. Wenn es mir recht sei, wolle er die Oper für mich komponieren und sie während meines Traums in meiner Erinnerung ablegen, sodass ich sie am Morgen nur noch auf­schreiben musste, um meine Wette zu gewinnen.

Erleichtert sagte ich zu und vertraute den Kompositionskünsten des Geistes, der erst einmal für eine halbe Stunde aus meinem Traum verschwand. Während der Wartezeit unterhielten mich ein Dutzend nackte Tänzerinnen ganz vorzüglich.

Der Geist hielt Wort und kehrte nach einer halben Stunde mit einer Partitur, einem Libretto und einen Trich­ter zurück und füllte mithilfe von letzterem den Inhalt der beiden ersteren in mein Gedächtnis.

Als ich nach kurzer Erholung vom Wecker aus meinem Schlaf gerissen wurde, machte ich mich unverzüglich an die Arbeit und brachte wie in einem Rausch direkt aus meiner Erinnerung Libretto und Musik zu Papier.

Am Morgen fuhr ich mit einer Droschke zum Wirtshaus und traf rechtzeitig bei meinen Komponistenkollegen zum Katerfrühstück am Stammtisch ein. Ich wurde auf der Stelle von den Kollegen umringt.

Besenbinder forderte mich auf, mein Werk vorzulegen und dessen Titel zu nennen. Triumphierend legte ich Partitur und Libretto auf den Tisch und erklärte feierlich, dass mein Werk „Der schwe­ben­de Belgier“ heiße.

Da lachten meine Kollegen und zogen mich zum Partiturenschränkchen, das schon seit vielen Jahren seinen Platz im Hinterzimmer des Gasthauses hatte. Be­senbinder schloss auf und suchte die Partitur des Fliegenden Holländers heraus, die er mit meinem Schwebenden Belgier verglich.

Es stellte sich heraus, dass die Werke bis auf die letzte Note identisch waren und dass der Geist in meinem Traum mich schändlich betrogen hatte.

Noch ehe meine Kollegen mich zur Re­chenschaft ziehen und den Sieger unserer Wette bestimmen konnten, stieg plötz­lich eine Rauchsäule aus dem Boden empor, die sich rasch nach allen Seiten aus­breitete und nach Pest, Schwefel und faulen Eiern stank.

Hier sei der Teufel, sagte eine Stimme aus dem wabernden Nebel, und er sei gekommen, um uns seine Ent­scheidung mitzuteilen, welche der beiden an der Wette beteiligten Seelen er sich aneignen wolle.

Besenbinder verlor die Beherrschung und forderte den Teufel auf, meine Seele zu nehmen, weil mein Schwebender Belgier ja von der ersten bis zu letzten Note ein einziger Betrug sei.

Da lachte der Teufel aus dem Nebel her­aus und erklärte, dass er weder Besenbinders noch meine Seele haben wolle, weil zwei solche Dünnbrettbohrer wie wir ihm in seiner Hölle von keinerlei Nutzen seien. Er würde uns getrost dem Himmel überlassen.

So rasch wie Rauch und Ge­stank sich des Raumes bemächtigt hatten, verschwanden sie nach dem Abgang des Höllenfürsten wieder.

Die Kollegen, Besenbinder und ich eröffneten das Ka­terfrühstück erleichtert mit einem halben Dutzend Runden an klaren Schnäpsen.

Ich war zwar froh, dass ich meine Seele behalten durfte, aber irgendeine Instanz in meinem Oberstübchen signalisierte mir, dass ich etwas Wichtiges übersehen hatte. Nach dem elften Schnaps wurde es mir dann schlagartig klar: Der Satan und der Geist aus meinem Traum hatten exakt die selbe Stimme.

Michael, 5. April 2024

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