Ortsgeist

Pertlwieser, der noch nie zuvor in Bürmoos gewesen war, geriet beim ziellosen Flanieren durch den wenig attraktiven Ort in die Hopfenstraße. Weil er ein passi­onierter Biertrinker war, gefiel ihm der Name.

Er stellte sich natürlich gleich die Frage, ob es auch eine Malzstraße und eine Wasserstraße gab. Pertlwieser be­schloss, auf eigene Faust Erkundungen anzustellen, indem er die Hopfenstraße von ihrem Anfang bis zu ihrem Ende durchschritt und dabei die Namen der Querstraßen kontrollierte.

Als ihm weder eine Malzstraße noch eine Wasserstra­ße unterkamen, entschied er sich doch dafür, Einheimische zu fragen. Der erste, der ihm begegnete, war Lois der Lackierer, der in einem in die Jahre gekomme­nen Haus in der Hopfenstraße wohnte. In seiner gewohnt schroffen Art schmet­terte Lois die höflich vorgebrachte Frage Pertlwiesers ab.

Er beantworte keine blöden Fragen, blaffte Lois, und einem Fremden schon gar nicht.

Da tat Pertlwie­ser etwas, was die Einheimischen schon längst tun hätten sollen. Er verpasste Lois aus heiterem Himmel eine Ohrfeige, die den Adressaten glatt umwarf. Dann ließ er den völlig verblüfften Gezüchtigten einfach liegen und sah sich nach wei­teren Einheimischen um, die er wegen der Wasserstraße und der Malzstraße fra­gen konnte.

Er durchquerte dazu die Hopfenstraße wieder in jene Richtung, aus der er gekommen war. Zu seinem Verdruss begegnete ihm dabei jedoch keine weitere Menschenseele. Als er schon aufgeben wollte, umflog ihn plötzlich etwas, das er zuerst für einen Vogel hielt. Es handelte sich allerdings um einen Geist, um die Seele einer Verstorbenen genauer gesagt, die zu Lebzeiten in der Meisengasse gewohnt hatte, die eine Querstraße der Hopfenstraße war.

Pertlwieser, der keine Scheu vor Geistern hatte, fragte die Verstorbene nach ihrem Namen. Sie heiße Hermine, erwiderte sie. Sie sei ein guter Geist. Ihren endgültigen Frieden habe sie aber noch nicht gefunden.

Das träfe sich gut, erwiderte Pertlwieser. Vielleicht könne sie ihm ja eine Frage beantworten, die mit dem Ort Bürmoos zusammen­hinge.

Nur zu gern, sagte Hermine. Sie habe Bürmoos praktisch mit gegründet und wisse daher alles über diesen Ort.

Pertlwieser fragte sie nach der Malzstraße und der Wasserstraße.

Die gäbe es nicht, erklärte Hermine. Die Bürmooser hät­ten das Wasser zum Brauen aber aus dem Kaiserbach entnommen. Deswegen gä­be es eine Kaiserbachstraße. Dass man zum Bierbrauen auch Malz brauchte, sei den Gründervätern des Ortes damals nicht bewusst gewesen. Sie hätten es mit Fröschen anstelle des Malzes versucht. Das solcherart gebraute Getränk hätte al­lerdings zum Davonlaufen scheußlich geschmeckt. Immerhin gäbe es aber einen Froschweg, der dauerhaft an jenes Desaster erinnerte.

Pertlwieser freute sich über die in seinen Augen plausible Erklärung, dankte Hermine überschwänglich und machte sich auf den Weg in den Nachbarort St. Georgen, um dessen Geheim­nisse zu erkunden.

Das schallende Gelächter Hermines, die ihm einen Bären auf­gebunden hatte, hörte er nicht mehr.

Michael, 12. April 2024

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