Berge, Hochhäuser, Geister

Vier befreundete Berge, der Schober, der Staufen, der Schröcken und der Schlenken trafen sich zu ihrem monatlichen Stammtisch im Café Powidl in Obertrum. Ihr Tisch befand sich unmittelbar neben jenem der strickenden Hochhäuser, die dort sogar täglich verkehrten und still Marillenlikör becherten, während ihre Schals an Länge zulegten, was alles die vier Berge grundsätzlich nicht störte, abgesehen davon vielleicht, dass wegen der Höhe der Hochhäuser durch die Fenster meist recht wenig Sonnenlicht zu ihnen herüberdrang. Nur manchmal, wenn eines der Hochhäuser austreten musste, wurde es auch am Tisch der Berge ein wenig heller.

„Habt ihr“, eröffnete der Schober, der sich gern ein wenig in den Vordergrund drängte, das Gespräch, „schon die neue Alpenvereinszeitung gelesen?“

„Nein, nein, nein“, erwiderten der Staufen, der Schröcken und der Schlenken.

„Solltet ihr schleunigst nachholen! Es steht etwas kolossal Wichtiges für uns Berge drinnen!“

„Was, was, was?“, fragten der Staufen, der Schröcken und der Schlenken.

„Dass jeder anständige Berg heutzutage einen Berggeist braucht. Ein Berg ohne Geist ist wie ein Fahrrad ohne Fisch.“

„Fahrräder sind doch aber immer ohne Fisch?“, flüsterte der Schröcken leise.

„Das sollte ein Witz sein, Schröcken!“, schnaubte der Schober. „Du bist nicht bloß ein Berg ohne Geist, sondern auch einer ohne Ironie.“

„Ist das gut oder schlecht?“, hakte der Schröcken nach und kratzte sich am Gipfel.

„Ich glaube, es ist besser, wenn wir die Erörterung dieser speziellen Frage gleich im Ansatz ersticken, sonst prügeln wir uns womöglich am Ende noch mit den strickenden Hochhäusern!“, entschied der Schober schwer atmend. „Kehren wir lieber zu der Geschichte mit dem Berggeist zurück. Berggeister sind nützlich, heißt es in der Alpenvereinszeitung, aber auch kostspielig in Anschaffung und Unterhalt.“

„Oh je, oh je, oh je“, seufzten der Staufen, der Schröcken und der Schlenken.

„Keine Sorge!“, beruhigte der Schober. „Ich habe schon eine Lösung für uns!“

„Welche, welche, welche?“, fragten die drei.

„Wir machen es wie die Bauern“, erklärte der Schober.

„Bauern sind schlau“, stellte der Schlenken fest. „Wir machen es also bauernschlau.“

Der Schober schlug die Grate vor dem Gipfelaufbau zusammen.

„Bei dir fährt die Seilbahn auch nicht bis zur Bergstation, Schlenken!“, rief er. „Wir machen es natürlich nicht bauernschlau! Aber wir kupfern eine nützliche Idee der Bauern ab. Wenn einzelnen Landwirten agrarische Geräte wie Mähdrescher oder Harvester allein zu teuer sind, tun sie sich zu mehreren zusammen, gründen einen Maschinenring und tätigen die großen Investitionen gemeinsam. Jeder von den Bauern kann die teuren Maschinen dann in einem bestimmten Zeitfenster nutzen. So machen wir es auch!“

„Das habe ich verstanden!“, strahlte der Staufen. „Was ich aber nicht verstehe, ist, wozu wir als Berge Mähdrescher oder Harvester brauchen.“

„Oh, Staufen!“, stöhnte der Schober. „Du komplettierst unser Intelligenztrio wahrlich würdig! Wir gründen natürlich keinen Maschinenring, sondern einen Geisterring! Wir beschaffen uns einen Geist, den jeder von uns vieren für ein Viertel der Zeit nutzen darf.“

„Sofort, sofort, sofort!“, riefen der Staufen, der Schröcken und der Schlenken.

„Ihr wisst nicht, was ihr da redet!“, rief der Schlenken. „Ihr habt ja nicht den Funken einer Ahnung, wie schwer es ist, einen passenden Geist aufzutreiben. Berggeister sind praktisch ausverkauft, seit der Artikel in der Alpenvereinszeitung erschienen ist. Ich habe schon mit dem Großvenediger telefoniert und mit der Hochalmspitze und dem Hafner, ob irgendwer noch einen Berggeist übrig hat oder ob wir uns an einen bereits bestehenden Berggeistring anhängen können, doch alles leider Fehlanzeigen!“

„Schade, schade, schade!“, seufzten der Staufen, der Schröcken und der Schlenken. „Was jetzt, was jetzt, was jetzt?“

„Wir müssen eine Annonce in der Alpenvereinszeitung schalten“, erklärte der Schober. „Das ist das einzige, was jetzt noch etwas bringen kann.“

„Genau, genau, genau!“, riefen der Staufen, der Schröcken und der Schlenken.

Noch bevor der Schober die weitere Vorgehensweise skizzieren konnte, nahmen die vier Berge ein mächtiges Geräusch wahr, das sich am ehesten als ein Räuspern beschreiben ließ. Wie sich herausstellte, war es tatsächlich ein Räuspern, das nach einigen Anläufen allerdings wieder abebbte.

„Entschuldigt bitte, dass wir gelauscht haben“, sagte dann eine volltönende Altstimme. „Aber vielleicht müsst ihr gar keine Annonce schalten. Vielleicht haben wir die Lösung für eurer Problem.“

Der Schober, der Staufen, der Schröcken und der Schlenken realisierten, dass es eines der strickenden Hochhäuser vom Nachbartisch war, das das Wort an sie gerichtet hatte.

„Sehr aufmerksam von euch“, sagte der Staufen. „Wir brauchen aber kein Hochhaus, sondern einen Geist. Selbst wenn ihr euch als Geister verkleidet, seid ihr als Hochhäuser viel zu groß und viel zu stofflich.“

„Halt die Klappe, Staufen!“, rief der Schober und fuhr seinem Bergkollegen mit der Steilwand über die Sprechhöhle. „Du ruinierst alles, bevor es überhaupt angefangen hat!“

Er drehte sich zu den Hochhäusern hinüber, die weiterhin strickten und Marillenlikör becherten.

„Wir sind natürlich interessiert an eurem Vorschlag“, säuselte er, „den wir uns zuerst einmal anhören möchten.“

„Nun“, erklärte eines der Hochhäuser, „es gibt ja bekanntermaßen viele unterschiedliche Geister, die sich, wie wir wissen, an verschiedenen Umständen scheiden. Um es kurz zu machen: Auch wir Hochhäuser haben Geister, die uns in letzter Zeit allerdings viel Unbehagen bereiten, weil sie nichts anderes mehr tun, als aus lauter Langweile Tag und Nacht ohne Unterbrechung mit den Fahrstühlen auf und ab zu fahren, was uns ganz kirre macht und uns in unserer Konzentration beim Stricken stört. Unsere Geister brauchen also dringend einen Tapetenwechsel und wir Hochhäuser ehrlich gesagt auch. Wenn ihr also wollt, würden wir euch gern kostenlos unsere vier Spukgesellen überlassen.“

„Das bedeutet ja“, rief der Schlenken begeistert, „dass wir es noch schlauer anstellen können als die Bauern mit ihren Maschinenringen! Wir bekommen vier Geister, das heißt, wir können gleich vier Geisterringe gründen!“

Der Schober flutete zwei seiner Quellrinnsale mit Tränen der Verzweiflung.

„Wenn wir vier Geister bekommen, brauchen wir überhaupt keinen Geisterring, du tumber Monolith! Vier Berge, vier Geister, kein Ring! Ist das klar?“

Nach einer längeren Pause nickte der Schlenken artig. Der Schober bestellte beim Kellner des Café Powidl drei riesige Schiwasser, die er seinen Kollegen an den Tisch servieren ließ. Er selbst gesellte sich zu den Hochhäusern, um mit ihnen die Details zu dem angebotenen Geistertransfer auszuhandeln. Der Schober sagte, dass seine drei Kollegen und er sehr wohl eine Gegenleistung für die Überlassung der Geister erbringen wollten. Der Berg und die vier Hochhäuser wurden rasch handelseins. Der Schober schlug vor, dass die Berge für den laufenden Monat die Marillenlikör- sowie die Wollrechnung übernahmen, worin die Hochhäuser freudig einwilligten. Noch an Ort und Stelle im Café wurde der Geistertransfer vollzogen.

Der Schober, der Staufen, der Schröcken und der Schlenken erhielten jeweils einen eigenen Geist. Dass es sich um keine spezifischen Berggeister handelte, würde wegen der allgemeinen Unsichtbarkeit von Geistern niemand bemerken.

Nach dem erfolgreichen Abschluss der Transaktion erklärte der Schober den monatlichen Stammtisch für beendet und schickte seine Kollegen heim.

Nachbemerkung: Die Geschichte hat also grundsätzlich ein gutes Ende gefunden. Die vier Berge hatten wie von der Alpenvereinszeitung vorgeschlagen jeweils eigene Geister bekommen. Allerdings merkten die Geister von Staufen, Schlenken und Schröcken bald, welch kognitive Dünnstuhler ihre neuen Heimatberge waren. Als Konsequenz daraus flüchteten sie geschlossen zum Schober, der seither vier Berggeister besitzt. Ob der Staufen, der Schlenken und der Schröcken es überhaupt bemerkt haben, dass sie ihrer Geister gleich wieder verlustig gegangen sind, darf stark bezweifelt werden. Im Grunde genommen juckt es aber niemanden.

Michael, 10. Mai 2024

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