Der einbeinige Trafikant Kurt Murx erhielt eines Morgens eine in Folie verschweißte Truhe mit kubanischen Zigarren, die ihm der Fahrer eines Paketdienstes vor die Tür knallte. Der Lieferant war neu und vergleichsweise billig.
Kurt Murx hoffte, dass mit den Zigarren alles in Ordnung war. Um sicherzugehen schleppte er die Truhe sofort ins Lager und schnitt die Folie mit seinem Stanleymesser auf. Der beste Weg um festzustellen, ob eine Zigarrenlieferung etwas taugte, war es, so schnell wie möglich zur Probe eine der Zigarren zu rauchen. Gab es etwas zu reklamieren, konnte man sofort eine Protestnote nach Kuba telegrafieren.
In dem Moment, da Kurt Murx die erste Zigarre an der Spitze beschnitten hatte und sie sich in den Mund steckte, um sie anzuzünden, verpasste ihm irgendjemand, den er nicht sehen konnte, einen Satz Ohrfeigen, die so heftig ausfielen, dass Murx vom Stuhl flog.
„He, was soll das, du feiges Aas“, rief der Trafikant erbost. „Ich will bloß meine Zigarre rauchen. Zeig dich wenigstens, wenn du dich mit mir prügeln willst!“
„Du rauchst hier gar nichts, Alter!“, erwiderte eine Stimme aus dem Nichts. „Ich bin Raol, der Zigarrengeist. Wenn du es noch einmal versuchst, reiß ich dir dein zweites Bein auch noch aus!“
„Bist du von Sinnen?“, schrie Kurt Murx. „Ich lass mir doch nicht aus Kuba eine Truhe mit Zigarren kommen, damit irgendein komischer Geist als blinder Passagier mitreist und mir erklärt, dass ich sie nicht rauchen darf!“
„Du kannst mit deinen Zigarren anstellen, was du willst. Nur rauchen darfst du sie nicht! Mich stören der Qualm und der Gestank!“
„Was soll ich deiner Ansicht nach mit Zigarren anstellen statt sie zu rauchen?“
„Du könntest sie essen“, schlug Raol vor. „Ich kenne viele tolle Rezepte, die ich dir gern verraten kann.“
„Unsinn!“, rief Kurt Murx. „Niemand isst Zigarren!“
„Du ab sofort schon!“, erwiderte der Geist Raol. „Und deine Kunden auch. Mich wirst du übrigens nie mehr los. Also denk immer an das eine Bein, das du noch hast, bevor du etwas Unüberlegtes tust.“
Seufzend fügte Kurt Murx sich in sein Schicksal und holte einen alten Gaskocher aus dem Lager. Als erstes kochte er unter Anleitung des Geistes ein Zigarrenragout, das von den Kunden des Kiosks erstaunlich wohlwollend aufgenommen wurde.
Schon zu Mittag mussten sie nachlegen. Als nächstes fabrizierten sie einen saftigen Zigarrenstrudel, gefolgt von hauchdünn geschnittenem Zigarrencarpacchio, das besonders den Feinschmeckern unter den Rauchern hervorragend mundete.
Schließlich sprach es sich überall in der Stadt herum, dass es am Kiosk von Kurt Murx nun Zigarrengerichte gab, die keine kulinarischen Wünsche offen ließen. Der Trafikant orderte weitere Lieferungen an Zigarren aus Kuba, die diesmal geistlos eintrafen.
Irgendwann, als Murx und der Geist Wochen später zufrieden im Kiosk saßen und das viele Geld zählten, das sie eingenommen hatten, sagte Murx: „War doch ein Glück, wozu mich gezwungen hast! Aber sag, besonders gesund ist das Zigarrenessen nicht, oder?“
„Das Rauchen aber doch auch nicht“, erwiderte der Geist.
Da nickte Kurt Murx bedächtig und schob sich einen Zigarrenburger in die Mikrowelle, die sie sich mittlerweile angeschafft hatten.
Michael, 14. Juni 2024.