Als ich einmal erwachte, gewahrte ich Hubschrauberlärm, der in unseren Breiten an sich nichts Ungewöhnliches ist, weil dauernd irgendein Rettungs- oder Polizeihelikopter unsere Siedlung überfliegt. Der Lärm war allerdings durchgängig so laut, dass ich fürchtete, dass der Hubschrauber direkt über meinem Appartement stand.
Ich öffnete das Fenster, steckte meinen Kopf hinaus und musste feststellen, dass meine Befürchtung der Realität entsprach. Der Helikopter, der direkt über mir in der Luft schwebte, hielt eine riesige an Seilen befestigte Tube Mayonnaise, die so groß war, dass sie mir die Sonne verdeckte.
Wütend stürmte ich noch im Pyjama hinaus in den Garten. Ich streckte drohend meinen linken Arm mit geballter Faust in Richtung Himmel, um mein Missfallen kundzutun.
Als Antwort wurde ich von einem grellen Lichtblitz geblendet, der allerdings nicht vom Hubschrauber ausging, sondern von zwei Uniformierten, die mit einem starken Scheinwerfer ausgerüstet an der Grundstücksgrenze standen und mich mit dem Strahl aus ihrer Lichtquelle anvisierten. Zusätzlich hielten sie ein Transparent hoch, auf dem eine weitere Tube Mayonnaise der selben Marke wie der oben am Himmel abgebildet war.
Zwischen der Riesentube, dem Hubschrauber, den beiden Uniformierten und ihrem Transparent bestand also ein klarer Zusammenhang.
Ich stürmte auf die Uniformierten zu und versuchte den Lärm zu überbrüllen.
„Was ist das für eine lächerliche Mayonnaisetube, die über uns schwebt, was sind das für lächerliche Uniformen, die ihr tragt, was ist das für ein bösartiger Hubschrauber, der über meinem Dach steht, und warum steht er ausgerechnet über meinem Dach?“, rief ich.
„Das sind ja drei Fragen auf einmal!“, kam es zurück.
„Es sind vier Fragen!“, rief ich wutschnaubend. „Von Quietschpastenwächtern, die nicht zählen können, erwarte ich eigentlich gar keine Antworten!“
„Du kannst uns nicht beleidigen“, sagte der Uniformierte und versuchte gütig zu lächeln. „Wenn der Große Eierfettgeist von Proxima Centauri hier auf der Erde landet, wird alles gut. Wir werden eine Familie sein.“
„Der Große Eierfettgeist? Den habt ihr euch selber ausgedacht, was? Denkt ihr etwa, dass er schon im Anflug ist?“
„Wir denken es nicht bloß, wir wissen es. Wenn er uns und unsere Tube und unser Transparent als erstes sieht, werden wir die Auserwählten sein. Seine Steigbügelbrüder auf Erden.“
„Und wozu braucht ihr am helllichten Tag einen Scheinwerfer?“
„Damit wir den Großen Eierfettgeist, der aus dem frostigen Weltall zu uns kommt, gleich nach der Landung wärmen können. Wir wollen vermeiden, dass er frieren muss.“
In diesem Augenblick fing der Hubschrauber an wie wild zu sacken und sofort wieder zu steigen. Die riesige Mayonnaisetube hüpfte dabei mit.
„Das ist das Zeichen!“, rief einer der Uniformierten aufgeregt. „Der Große Eierfettgeist kommt!“
Tatsächlich zeigte sich schon wenig später ein großes braunes gasförmiges Gebilde am Himmel, das aussah wie ein überdimensionierter Zeppelin und das langsam zu Boden sank und den hüpfenden Hubschrauber ignorierte und sich einfach über ihn stülpte.
Als das Gebilde den Boden erreicht hatte, fielen die beiden Uniformierten auf die Knie.
„Auch du musst auf die Knie!“, forderten sie mich auf. „Los! Wir müssen zum Großen Eierfettgeist beten!“
Ich dachte gar nicht daran, ihrer Aufforderung nachzukommen. Sie richteten den Strahl ihres Scheinwerfers nach vorne. Aus dem Zeppelin sprang plötzlich ein ebenfalls brauner gasförmiger Ball heraus, die wie von unsichtbarer Hand bewegt direkt vor uns zu dribbeln begann.
„Das ist er!“, flüsterten die heiden Uniformierten und begannen exstatisch und monoton zu murmeln.
„Mayo, Mayo, Mayonnaise!“, murmelten sie und gleich noch einmal. „Mayo, Mayo, Mayonnaise!“ und immer wieder „Mayo, Mayo, Mayonnaise!“
Der braune Ball vulgo Eierfettgeist dribbelte unbeeindruckt und stumm weiter auf und ab. Unbeirrt skandierten die beiden Uniformierten weiter „Mayo, Mayo, Mayonnaise!“, ehe sie nach etwa 20 Minuten doch ein klein wenig genervt das Handtuch warfen.
„Erleuchte uns endlich, Großer Eierfettgeist!“, riefen sie unisono. „Du musst uns endlich erleuchten, wir sind deine Steigbügelbrüder!“
„Plopp!“, sagte der Eierfettgeist, während er weiter dribbelte. „Plopp, plopp!“
„Ist das alles?“, fragten die Uniformierten enttäuscht.
„Plopp!“, erwiderte der Geist. „Plopp, plopp!“
Ich konnte mir eine gewisse Häme nicht verkneifen, die ich allerdings bloß sehr dezent auf meinem Gesicht zur Schau stellte. Parallel dazu zückte ich immerhin mein Mobiltelefon und sah auf Wikipedia unter dem Stichwort „Eierfettgeist“ nach.
„Es liegt ein Irrtum vor!“, sagte ich nach der Lektüre aufgeregt zu den beiden Uniformierten. „Dieser Geist ist kein Großer, sondern nur ein Ranziger Eierfettgeist. Der Unterschied besteht lediglich in der Braunfärbung, steht hier. Ranzige Eierfettgeister können gar nichts! Sie haben das Intelligenzniveau von Fadenwürmern.“
Die beiden Uniformierten reagierten eingeschnappt.
„Betrüger!“, riefen sie dem nunmehr Ranzigen Eierfettgeist zu. „Du kannst uns gar nicht erleuchten! Scher dich fort!“
Sie machten beide einen abrupten Satz nach vorne, um den Geist zu packen, was natürlich misslang. Immerhin schien der Eierfettgeist die ihm entgegengebrachte plötzliche Abneigung zu spüren, was er zum Anlass nahm, um sich augenblicklich in seinen Gaszeppelin zurückzuziehen und davonzuschweben.
„Und was machen wir jetzt?“, fragte der eine Uniformierte verzweifelt seinen Kollegen.
„Na, was wohl?“, gab der Kollege zur Antwort. „Dem Hubschrauberpiloten sagen, dass er mit dem Auf- und Abhüpfen aufhören soll und weiter warten auf den Großen Eierfettgeist.“
In diesem Augenblick geschah endlich etwas Vernünftiges. Ein rosafarbener Pritschenwagen der Klapsmühle brauste heran und schliff unmittelbar vor uns scharf ein.
„Endlich werden die beiden Spinner in Gewahrsam genommen“, dachte ich erleichtert. „Endlich!“
Ich hatte mich getäuscht. Aus dem Pritschenwagen sprangen zwei weitere Uniformierte heraus und gesellten sich zu uns.
„Wo steckt ihr denn?“, riefen sie den Kollegen neben mir zu. „Ein Glück, dass wir euch gefunden haben! Ihr müsst in der Klapsmühle die Spätschicht übernehmen.“
Michael, 21. Juni 2024