Erika, knapp über 50 Jahre, war als Executive Assistent bis zuletzt im Büro, als sie plötzlich vom Stuhl kippte und das Zeitliche segnete. Der CEO Rudolf wußte anfangs nicht so recht, wie er damit umgehen sollte. Erika fehlte ihm doch sehr und er engagierte eine Psychologin, die ihm bzw. auch der Belegschaft beim Umgang mit der Trauer helfen sollte. Was keiner wissen konnte, war, dass zwar Erika tot, aber sich als Geist noch in der Nähe umhertrieb. Erika bereitete es nämlich größte Sorgen, wie ihr Chef ohne ihre Kompetenz klar kommen sollte. „Psst“, fauchte sie vom Baum in der Nähe des Büros, als ihre Kollegin Kathi von der Arbeit heimging. Zuerst ging Kathi weiter, aber als im Befehlston ein „Bleib stehen!“ vom Baum hallte, schaute sie doch interessiert nach oben. „Ich bin es, die Erika“, sprach sie Kathi direkt an. Das die nicht einmal als Tote Ruhe geben konnte, hätte sich Kathi eigentlich denken können. „Wie geht es dem Rudi?“, fragte sie und führte weiter aus, dass er ja kaum ohne sie in der Lage wäre, das Unternehmen weiterzuführen. Kathi hatte keine große Erfahrung im Umgang mit Geistern und blieb freundlich. „Du fehlst natürlich“, meinte sie und berichtete von dem einen oder anderen Missgeschick. Da das die nächsten Tage so weiterging und Kathi immer von Erika beim Vorbeikommen am Baum angesprochen wurde, hatte Kathi von dieser Scheinheiligkeit schön langsam die Nase voll. Sie beriet sich mit der in der Firma engagierten Psychologin, die meinte, dass die Wahrheit auch Geistern zumutbar wäre. Nach drei Sitzungen war Kathi so weit. „Ich werde Rudi und der ganzen Firma wohl richtig fehlen“, hörte sie schon wieder vom Baum, als sie noch einige Meter entfernt war. „Weißt du, Erika, du hast Glück“, begann Kathi, „Hannah kocht den Kaffee, Berta strickt den Pullover im Büro, die Praktikantin löst die Kreuzworträtseln und..“ „Was soll das?!“, fauchte Erika, „ich habe auch anderes erledigt.“ Kathi fuhr selbst bewusst fort: „und… und ich schlafe mit Rudi!“ Das saß, Erika grollte, der Himmel verdunkelte sich und sie entschwand Richtung Himmel. Seit diesem Tag wurde Kathi von Erika nicht mehr behelligt und Rudi hätte sich als CEO in seinen kühnsten Träumen nicht erdenken können, dass der Übergang so nahtlos funktionieren würde.
Harald, 05. Juli 2024.