Auf einen Geist nach Amerika

Einmal, als ich gerade in Salzburg im Bus saß und durchs Klausentor fuhr, fühlte ich mich plötzlich einsam und wünschte mir Gesellschaft. Da ich mit den Mens­chen selten gut auskam und sie im Gegenzug jedesmal auch meiner binnen kur­zer Zeit überdrüssig wurden, wünschte ich mir einen Geist.

„Sie sehen gar nicht gut aus, mein Junge“, sagte plötzlich der Rentner, der mir gegenüber saß. „Ir­gend­etwas bedrückt Sie. Reden Sie, ich bin steinalt, ich weiß für jedes Problem die richtige Lösung.“

„Ich bin einsam“, druckste ich ein wenig herum. „Ich suche Gesellschaft und wünsche mir einen Geist, irgendeinen guten Geist.“

„So etwas gibt es bei uns nicht“, erklärte der Rentner. „Sie müssen nach Amerika. Steigen Sie um in den Bus zum Flughafen und nehmen Sie den Direktflug nach Washing­ton.“

„Ich weiß nicht recht“, zögerte ich. „In Amerika gibt es gute Geister?“

„Ver­trauen Sie mir“, rief der Rentner und klopfte mir auf die Schulter. „So wahr ich Ru­fus Resträuschel heiße.“

„Überredet“, seufzte ich. „Ich werde am Hanuschplatz in den 10er umsteigen.“

Rufus Resträuschel nickte mir wohlwollend zu.

„Ein wei­ser Entschluss! Viel Glück!“

Ich ergatterte am Flughafen den letzten Platz in der Maschine nach Washington. Der Flug verlief weitestgehend ereignislos.

Als ich nach der Landung ausstieg, fiel mir auf, dass ich keinen blassen Schimmer hatte, wo ich mit der Suche nach einem Geist beginnen sollte. Also stieg ich erst einmal in einen Bus, der ins Zen­trum fuhr.

Dort gab es keinerlei Hinweise auf Geister. Ich begann mich zu fragen, ob Rufus Resträuschel mir nicht einen Bären aufgebunden hatte. In meiner Ver­zweiflung sprach ich wildfremde Passanten an und erkundigte mich nach Geis­tern. Niemand konnte mir weiterhelfen.

Da mir nichts einfiel, was ich sonst un­ternehmen hätte können, kaufte ich mir eine Eintrittskarte für das erstbeste Mu­seum, das auf meinem Weg lag. Es hieß Nationales Luft- und Raumfahrtmuseum.

Ich müsse mich beeilen, sagte die Frau, die mir mein Ticket aushändigte, das Muse­um sei nicht mehr lang geöffnet.

Ich erwiderte, dass mir das egal sei.

In der Ein­gangshalle entdeckte ich ein uraltes Flugzeug, das an Seilen von der Decke hing. Wehmütig dachte ich an Salzburg, das ich leichtfertig in einem hochmodernen Flieger verlassen hatte. Da mich allmählich auch eine bleierne Müdigkeit umfing, suchte ich mir ein Rastplätzchen zwischen den Spinden für die Gepäckaufbewah­rung.

Als ich wieder erwachte, sorgte nur noch die Notbeleuchtung für dürftige Helligkeit. Mir wurde klar, dass das Museum seine Pforten längst geschlossen hatte und dass ich nunmehr der einzige Besucher war.

Ich blickte wieder hinauf zu dem Flugzeug und entschied, es näher zu erkunden, da ich die Zeit bis zum Mor­gengrauen ohnehin irgendwie totschlagen musste. In einer Abstellkammer hinter dem Kassenschalter fand ich eine Stehleiter, die meinen Ansprüchen voll­auf genügte. Ich kletterte hinauf zu dem alten Flugzeug, klammerte mich mit den Armen daran fest und stieg von der Leiter, um zu prüfen, ob die Deckenkonstruk­tion mein zusätzliches Gewicht trug. Nachdem ich mich dessen versichert hatte, stieg ich in die Maschine und nahm auf dem reichlich unbequemen Pilotensitz Platz. Ich drückte auf einen der wenigen Knöpfe am Armaturenbrett.

Alles um mich herum fing an sich zu drehen. Plötzlich sprang der Motor an und das Flug­zeug fing an, sich zu bewegen. Die Seile, die es an der Decke festgehalten hatten, waren mit einem Mal ebenso verschwunden wie die Decke selbst. Ich spürte, dass ich mich auch nicht länger in dem Museum befand.

Als ich in die Tiefe blickte, sah ich unter mir das Meer. Ich hatte das Gefühl, dass mir nichts zustoßen konn­te, solange ich wach blieb. Ich flog weiter über das weite nicht enden wollende Meer und konnte kein Land mehr ausmachen. Ich hielt wohl viele Stunden lang eisern den Kurs, ehe mich trotz heftiger Gegenwehr abermals der Schlaf übermannte.

Ir­gendwann wurde ich unsanft wachgerüttelt und ich fragte mich sofort, wie dies mög­lich war, da ich mich doch ganz allein in einer kleinen Maschine über dem Meer be­fand.

„Wo bin ich?“, rief ich erregt. „Bin ich etwa schon gelandet?“

„Sie sind noch gar nicht losgeflogen“, sagte eine Frauenstimme und als ich die Augen aufschlug, erkannte ich die Kassendame des Luftfahrtmuseums, die mir meine Eintritts­kar­te verkauft hatte. „Sie sitzen in der Spirit of St. Louis, in der Charles Lindbergh den Atlantik überquert hat. Und sie werden jetzt langsam zu mir auf die Leiter herübersteigen, damit ich Sie unversehrt zum Boden hinunter lotsen kann.“

Spirit of St. Louis?“, wiederholte ich ungläubig. „Spirit bedeutet doch Geist! Das heißt ja, dass ich einen Geist gefunden habe!“

Ich stieg lachend aus dem Flugzeug und folgte den Anweisungen der Kassendame, die mich sicher zum Grund zurückbegleitete.

Nachdem ich ihr die Geschichte von meinem Flug erzählt hatte, nickte die Kas­sie­rerin und sagte, dass sie noch einmal ein Auge zudrücken wolle, obwohl der Vor­fall streng genommen meldepflichtig sei.

Ich bedankte mich überschwänglich.

„Ich habe einen Geist gesucht“, rief ich, „und ich habe einen gefunden! Jetzt aber verspüre ich Hunger, heftigen Heißhunger auf Mozartkugeln.“

„Die gibt es hier nicht“, erwiderte die Kassendame. „Sie müssen nach Salzburg. Steigen Sie in den Bus zum Flughafen und nehmen Sie den Direktflug nach Salzburg.“

„Ja, klar“, erwiderte ich und umarmte sie spontan. „Das ist mir alles bekannt.“

„Und grüßen Sie mir Rufus Resträuschel, wenn Sie das nächste Mal durchs Klausentor fahren.“

Ich nickte, winkte und machte mich sofort auf den Weg. Manche Dinge, dachte ich, soll man nicht mehr hinterfragen, sondern so stehenlassen, wie sie sind.

Michael, 26. Juli 2024

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