Kronprinz Rudolf: Der Geist von Mayerling

Mein Leben hauchte ich im Jänner 1889 aus. Alles was bisher darüber geschrieben wurde, ist hanebüchener Unsinn. Mein Leben als Kronprinz hätte ich doch nicht freiwillig mit 31 Jahren beendet, ja vielleicht unter Einfluß von Drogen und Alkohol hätte das schon passieren können, war es aber nicht. Zu dem Zeitpunkt schien in meinen Augen alles perfekt zu sein, im besten Alter, zahlreiche Geliebte, wenn auch eher schlechte Ehe, aber kein Thema. Die junge Gespielin, die ich als Schneckenchecker des 19. Jahrhunderts auf das Jagdschloss mitnahm, war nicht von schlechten Eltern. Wir hatten uns am ersten Tag mehrmals vergnügt, meine Geschlechtskrankheit konnte ich bereits überwinden und ich war auf dem besten Weg, die Dynastie und das Reich fit für das nächste Jahrhundert, nein, ohne Übertreibung für das nächste Jahrtausend zu machen. Ich konnte noch immer nicht sagen, wer die Kugeln abgefeuert hatte, ich jedenfalls nicht. Wie auch immer, ich dachte über das Vergangene nach, als mir plötzlich etwas schwummrig wurde. Seit langem erblickte ich etwas vor meinen Augen, ich spürte auch meine Hände wieder. Wie durch ein Wunder verlies ich die Geisterwelt und war zurück auf der Erde, unfern von Mayerling. Endlich konnte ich meine Ideen in meinem physischen Körper wieder aufnehmen und die Welt retten, wieder ohne jegliche Übertreibung. Dass zu diesem Zeitpunkt mehrere Personen um mich standen, wurde mir erst später erklärt. Der Verkehrsunfall auf der Fahrt von Salzburg nach Wien – die Sonne stand sehr nieder – bei der Abfahrt Mayerling hatte zur Folge, dass sie mich in künstlichen Tiefschlaf für mehrere Wochen versetzen mussten. Die Intensivschwester akzeptierte zwar, dass sie mich mit Kronprinz Rudolf ansprechen musste, draußen funktionierte das nach der vollständigen Genesung weniger gut. Mein Arbeitgeber hatte mich fristlos entlassen, nachdem ich seine Assistentin schwängerte. Dass es nunmehr Kondome gab, erfuhr ich erst danach, eine tolle Erfindung übrigens. Ich bin nach wie vor überzeugt, die Wiedergeburt von Kronprinz Rudolf zu sein. Die ganze Welt ist anderer Meinung, aber ich habe meinen Platz und einen Beruf wieder gefunden. In Bad Ischl wollen sie von mir als Kronprinz Rudolf Autogramme, die Touristinnen sind ganz scharf auf mich und meine Abhandlung über die vereinigten Staaten von Europa wird noch dieses Jahr fertig. Sollen die anderen doch alle glauben, ich wäre nach einem Verkehrsunfall verrückt geworden, solange ich weiß, wer ich bin, ist alles gut – ohne Übertreibung.

Harald, 09. August 2024.

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