Parasole

Einmal, als ich finanziell gerade weit mehr zu rudern hatte als gewöhnlich, reiste ich zur Erholung in ein wenig attraktives Alpennebental, in dem es außer endlosen Geröllhalden und vom Borkenkäfer heimgesuchten Wäldern nicht viel zu sehen gab. Weil ich wirklich sparen musste, mietete ich mich am Fuß der Satanszacke in einer heruntergekommenen Frühstückspension in einer winzigen Kammer ein, in der es zu meiner Freude wenigstens eine Kochgelegenheit gab.

Der Wirtin sagte ich, dass ich Selbstversorger sei, was hieße, dass sie sich um meine Verpflegung nicht kümmern brauchte. Sie nahm es achselzuckend zur Kenntnis, bedang sich allerdings die Bezahlung der Kammer im Voraus für drei Wochen aus. Ich zahlte und spülte die Quittung die Toilette hinunter.

Ich freute mich auf ausgiebige Wanderungen im Umkreis der Satanszacke, die als anspruchsvoll galt. Gleich im Frühtau zog ich zu Berge und ging es gemächlich an, damit ich meinen vom Büroalltag erschlafften Körper nicht heillos überforderte.

Ich stapfte tapfer übers nicht endenwollende Geröll und stärkte mich gelegentlich an einem Ranken Brot, den ich von einem Laib abschnitt, den ich beim Bäcker im Dorf erstanden hatte.

Mein Abendmahl an diesem ersten Tag fiel karg aus, da ich außer ein paar noch grünen Preiselbeeren nichts Essbares in den Bergen fand. Notgedrungen legte ich mich noch einigermaßen hungrig zu Bett.

In den folgenden Tagen erging es mir nicht viel besser, obwohl ich meinen Aktionsradius sukzessive erweiterte. Außer ein paar Wildkräutern, deren Schärfe mir beim abendlichen Verzehr Schweißperlen auf die Stirn trieb, fand ich nicht viel.

Am Ende der ersten Woche fühlte ich mich körperlich so fit, dass ich es wagte, in die dunklen Wälder zu wandern, die unheimlich in einem geschlossenen Kreis den Gipfel der Satanszacke umringten.

Nachdem ich tiefer in einen schon am Morgen finsteren Forst eingedrungen war, schien mir völlig unerwartet plötzlich das Glück hold. Auf einer Lichtung entdeckte ich einen Ring aus herrlichen Parasolen, die in einem so prächtigen Zustand waren, dass ihre Abbildung jedes Pilzlehrbuch bereichert hätten.

Mir lief das Wasser im Mund zusammen. Die abendliche karge Kräuterkost würde ein Ende haben, wenn ich mir die Kappen der Parasole in meiner Kammer in ein wenig Butterschmalz briet.

Gerade als ich mich mit gezücktem Messer zum Boden bücken wollte, um meinen Fund zu ernten, spürte ich auf einmal einen heißen Hauch im Nacken. Ich drehte mich um, sah aber niemanden. Als ich mich wieder den Pilzen zuwandte, spürte ich den stechenden Wind noch einmal.

„Hände weg von meinen Parasolen!“, dröhnte nun eine höllisch laute Stimme direkt in meinem Kopf. „Hände weg oder du bist des Todes!“

Mich packte das Grauen. Ich gab Fersengeld und rannte ohne mich umzusehen oder anzuhalten hinunter bis ins Tal, betrat meine Kammer und schloss mich ein.

Ich verbrachte den ganzen Tag im Schutz meiner Behausung. Gegen Abend, als mich wieder der Hunger zu zwicken begann, hielt ich es nicht aber nicht länger aus. Weil der Appetit stärker war als meine Furcht und weil ich auch kein Geld mehr hatte, um im Dorf noch Lebensmittel zu erstehen, nahm ich meine Taschenlampe und stieg in der Dunkelheit noch einmal hinauf in das Wäldchen an der Satanszacke, in dem die Parasole auf mich warteten.

Wider erwarten fand ich die Stelle ohne Mühe wieder. Als ich den Ring der Pilze ableuchtete, sah ich, dass er noch ein wenig verlockender gerworden war. Ich holte das Messer hervor und wollte mich gerade bücken, als es in meinem Nacken heiß wie Feuer brannte.

„Du schon wieder?“, dröhnte die schon bekannte Stimme in meinem Kopf. „Ich warne dich noch einmal: Finger weg von meinen Parasolen!“

Die Stimme war so schaurig, dass ich trotz meines Hungers den Mut verlor und wieder die Flucht ergriff. Aber schon nach der Hälfte des Weges knurrten meine Eingeweide so laut, dass ich abermals umkehrte, um mir die Pilze zu holen. Obwohl die Leistung meiner Taschenlampe merklich nachgelassen hatte, fand ich die Stelle wieder.

Als ich mich bückte, blies wieder der feurige Atem, heißer als zuvor.

„Zum letzten Mal!“, rief die Stimme. „Scher dich fort von meinen Parasolen!“

Als ich diesmal der Aufforderung keine Folge leistete und mich anschickte den ersten Pilz abzuschneiden, tat es einen ohrenbetäubenden Knall, der mit einem glühend roten Blitz einherging, der mich ins Moos warf und mir für ein paar Augenblicke die Sinne raubte.

Als ich wieder zu mir kam, war der Strahl der Taschenlampe noch ein wenig schwächer als zuvor. Weil ich den Ring der Pilze aber immer noch ausmachen konnte, nahm ich all meine Courage zusammen, schnitt so schnell es ging, Pilz um Pilz ab, und verstaute meine Beute in meinem Rucksack. Danach suchte ich gottlob unbehelligt das Weite.

Weil ich kein Aufsehen erregen wollte, erhitzte ich in aller Stille in meiner Kammer im fahlen Licht meiner Nachttischlampe die Kochplatte, ließ einen Klacks Butterschmalz in eine kleine gusseiserene Pfanne fallen und kippte die Pilze direkt aus dem Rucksack dazu. Voller Ungeduld briet ich sie und verschlang sie gleich aus der Pfanne, um endlich den quälenden Hunger in meiner Leibesmitte zu besiegen.

Die Pilze schmeckten angenehm. Nach ihrem Verzehr hatte ich ein so wohliges Gefühl im Bauch, dass ich mich gleich hinlegte und erschöpft einschlief.

Im Morgengrauen wachte ich mit höllischen Bauchschmerzen auf, die ich der Aufregung zuschrieb. Ich erleichterte mich in beide Richtungen auf der Toilette, die auf der anderen Seite des Ganges lag. Danach ging es mir ein klein wenig besser und ich legte mich noch einmal ins Bett.

Ich blieb den ganzen Tag liegen, weil ich mich immer noch schwach und müde fühlte. Ich kam nicht mehr hoch und begann mich immer elender zu fühlen.

Ein paar Tage später schaffte ich es gerade noch ein paar Mal zur Toilette und fiel danach jedesmal erschöpft ins Bett zurück. Einmal ging es noch ein wenig besser, doch die Hoffung erwies sich als trügerisch.

Nach einem Rückfall starb ich einsam am achten Tag nach dem Verzehr der Pilze in der von mir gemieteten Kammer am Fuß der Satanszacke.

Als ich nach meinem Tod im Jenseits wieder zu mir kam, war mir unerträglich heiß. Mein Verdacht, dass ich nicht oben im Himmel gelandet war, bestätigte sich augenblicklich.

„Na, sind wir endlich aufgewacht?“, dröhnte eine mir bereits bekannte Stimme.

Als ich die Augen aufschlug, sah ich den Satan persönlich. Ich war so heiser, dass ich kaum etwas herausbrachte.

„Die Parasole“, krächzte ich. „Was hast du mit ihnen angestellt?“

Der Satan brach in schallendes Gelächter aus.

„Sie haben mir gehört! Ich habe dich gewarnt. Drei Mal. Du wolltest nicht hören. Da habe ich sie durch Knollenblätterpilze ersetzt.“

In meiner Kehle brannte es wie Feuer.

„Und Gott?“, brachte ich mit letzter Anstrengung hervor. „Warum hat der mir nicht geholfen?“

„Ach, der“, winkte der Satan verächtlich ab. „Der isst nur Champignons aus Zuchtkulturen.“

Da fing ich an der ganzen Seele an zu schlottern.

„Wasser!“, ächzte ich. „Ich brauche Wasser!“

„Das haben wir hier nicht“, erwiderte der Satan. „Und du wirst dich nie daran gewöhnen.“

Michael, 9. August 2024

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