Hartmund, der Burgkaplan, lief in die Burg und schloß das große Tor. Ihm war auf seinem morgendlichen Spaziergang ein Rabenschnabel untergekommen, eigentlich der Schnabel eines Raben. Hartmund sah darin eine unheilvolle Wendung für die Burg, schließlich war der Rabenschnabel ein gefürchteter Streithammer, der schwerste Verletzungen verursachte. Sie würden zurückkommen, die schlimmsten Feinde der Burg, über sie herfallen und keine Gefangenen machen. Er vertraute sich der Tochter des Truchsessen an und diese hielt seine Vision für keine Spinnerei, im Gegensatz zum Burgherren. Im Laufe der Gespräche hatte sich die Tochter in Hartmund verliebt, eine verbotene Liebe, in der Hartmund standhaft bleiben wollte. Die Tochter wurde von Tag zu Tag unglücklicher und selbst Hartmund konnte nach einer durchwachten Nacht nur mehr zu seiner Liebe stehen. Der Skandal war nun unausweichlich, beeindruckte Hartmund aber nicht weiter. Er verließ das Kaplanzimmer und machte sich auf den Weg zur Tochter. Bei der Kammer angekommen, klopfte er laut. Er schrie seine Liebe heraus, aber die Kammer blieb verschlossen. Traurig ging er die Stiegen hinunter und hatte auch Mittags keinen sonderlichen Hunger. Am Nachmittag erfuhr er von der Schreckensnachricht, die Tochter des Truchsessen hatte den Freitod in ihrer Kammer gewählt. Der Burgkaplan blieb ohne Essen tagelang in seiner Kammer, seine Liebe hatte er für immer verloren, seine Einsicht für immer zu spät. Noch im selben Jahr starb auch der Burgkaplan, wohl an gebrochenem Herzen. Seither wurden die beiden immer wieder als Erscheinung auf der Waldburg gesehen. Sie sucht ihren Burgkaplan in allen Zimmer, nur nicht im Kaplanzimmer. Dort zeigt sich der Burgkaplan oft am Fenster. Ein Fluch hing über dieser Liebe, die so nicht zueinander finden konnte und der Schnabel eines Raben hatte das Unglück angekündigt. Die Waldburg war seitdem bei Liebespaaren äußerst unbeliebt, wurde doch ein ähnliches Schicksal befürchtet. Auch das laute Weinen nächtens im Schloß hielt viele Besucher ab. Die Tochter der Burgköchin fand vor wenigen Wochen diesen Schnabel eines Raben, den damals der Burgkaplan für dieses aufkommende Unglück verantwortlich machte. Sie machte sich schlau und wartete die Vollmondnacht im August ab. Um Mitternacht schlich sie sich in das Zimmer des Burgkaplans und beschwor Eros, den griechischen Gott der Liebe, um den Liebenden zur Gerechtigkeit zu verhelfen. Bereits nächsten Tag war das Weinen verschwunden, stattdessen waren deutliche Laute eines Liebesaktes nun in der Burg zu vernehmen. Interessanterweise schienen auch diese Geräusche die Besucher abzuhalten, vor allem ältere Ehepaare fühlten sich brüskiert. Dem neuen Burgherrn war das alles ziemlich egal, schließlich konnte er sich nun nächtens ungehemmt mit der Tochter der Köchin vergnügen, die er seit dieser Vollmondnacht im August vergötterte. Eros hatte mal wieder ganze Arbeit geleistet und die Kronenzeitung endlich wieder eine Schlagzeile im Sommerloch.
Harald, 16. August 2024.