Kleinwagen und Lebensglück

Plötzlich war mir alles klar. Ich verkaufte meinen Mercedes S-Klasse. Warum? Weil ich damit niemanden mehr beeindrucken konnte, außer mich selbst. Alle interessierten sich für diese blöde Karre, aber nicht für mich. Für die Zukunft kein 911er, kein 8er BMW und auch kein Lamborghini mehr geplant, dafür ein wunderbarer tschechischer Kleinwagen. Ich besitze dieses Auto nunmehr seit Sommerbeginn und mein Leben hat sich drastisch verbessert. Egal wo ich auftauchte, keiner schaute auf meinen fahrbaren Untersatz, alle Blicke richteten sich auf mich. Ich lernte plötzlich auch mehr Frauen kennen und eine hatte es mir besonders angetan. So plante ich für das Wochenende eine Fahrt ins Grüne mit angenehmer Hotelübernachtung und genug Zeit für romantische Stunden. Mit Sabine verging die Zeit wie im Flug und nach diesem Ausflug wurden wir ein Paar. Wir zogen auch zusammen und als ich gerade zum Einkaufen alleine fuhr, bedankte ich mich spontan bei meinem kleinen Flitzer. Ich fand, dass war das Mindeste, rechnete aber mit keiner Antwort. Die Sprachsteuerung meinte jedoch kurz: „Nichts zu danken.“ Ich wollte nun mehr wissen und führte die Konversation fort. Generell wären Kleinwägen bei Frauen beliebter und größere Fahrzeuge würden nur zum Protzen dienen. Ich war von der neuen Technik angetan und verstand mich ausgezeichnet mit der verbauten künstlichen Intelligenz. Kurz bevor ich zuhause in die Garage einfuhr, verabschiedete ich mich nett und freute mich über so viel positive Technik. In den nächsten Wochen unterhielt ich mich mit meinem Fahrzeug immer dann, wenn ich alleine unterwegs war. Einmal musste Lisa – so nannte ich in der Zwischenzeit mein Fahrzeug – in die Werkstatt. Ich begrüßte den KFZ-Meister und gratulierte zur Sprachsteuerung, die Außergewöhnliches leisten würde und selbst Lebensweisheiten auf Lager hätte. Dieser schüttelte verständnislos den Kopf, musterte mich von Kopf bis Fuß merkwürdig und meinte, dass bei diesen Kleinwagen weder künstliche Intelligenz noch eine Sprachsteuerung verbaut wäre. Kaum mit der Reparatur fertig, stellte ich Lisa zur Rede. „Ich bin in Wirklichkeit ein großer Autogeist“, führte sie kleinlaut aus, „aber hatte von den zugeteilten Fahrern endgültig die Nase voll und sattelte um.“ Den Grund konnte sie sehr gut ausführen, schließlich ging es mir ähnlich. Ich verzieh Lisa und sie war eine echte Bereicherung in meinem Leben und auch wirklich nicht eifersüchtig. Sabine behelligte sie auch nie und so blieb das Ganze unser Geheimnis. Das manche Männer ein fast erotisches Verhältnis zu ihren Fahrzeugen pflegen, kann ich mittlerweile dank Lisa etwas besser verstehen.

Harald, 30. August 2024.

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