Das hellblaue Klappfahrrad mit eingebautem ABS und pannensicheren Reifen, die aufgrund der vielen Abwege seitens Felicitas notwendig geworden waren, glänzte in der abendlichen Spätsommerdämmerung am Waldrand. Justus war diesmal bereits seit dem frühen Nachmittag im Wald unterwegs, um einer sagenhaften Waldfee nachzustellen, der nachgesagt wurde, dass sie meist nackt durch den Wald streifte. Neben Felicitas hätte er am Mittwoch ein nächtliches Zeitfenster, da sie zu diesem Zeitpunkt ihre Portugiesischkenntnisse an der Volkshochschule aufbesserte und darüber hinaus seine Gattin Fiona am Zumba-Stammtisch verweilte und so diese Waldfee nahezu ideal eben für Mittwoch wäre. Der Nachmittag verlief abgesehen von einer aufdringlichen Pensionistin relativ ereignislos. Plötzlich hörte er ungefähr eine Stunde bevor er Felicitas treffen und lieben würde ein seltsames Geräusch hinter einem Gebüsch. Vorsichtig hielt er Nachschau und entdeckte den Eingang einer Höhle. „Hallo, ist da jemand?“, rief Justus und leuchtete mit seinem Handy in die Höhle. Er wollte sich gerade umdrehen, als er schemenhaft eine Gestalt wahrnahm. Das musste die Waldfee sein. „Schöne Maid, endlich habe ich Dich gefunden“, schmachtete er entzückt. „Wenn Du freie Liebe mit mir spüren möchtest, sprich laut: Ich will!“, erhielt er zur Antwort. Justus fackelte nicht lange und schrie sein Einverständnis in die Höhle und fügte noch hinzu, dass ihrer beider Vereinigung am Mittwoch stattfinden sollte. Die Waldfee kicherte und kam erregt aus der Höhle. Justus rieb sich dreimal die Augen und wusste, dass er mal wieder etwas zu spontan zugesagt hatte. Die Waldfee erwies sich als griesgrämiges Stilzchen, das kaum den Mittwoch mehr erwarten konnte. Auf Justus Nachfrage, ob das barfüßige Wesen mit offenem Hemd bei einem Kuss sein Aussehen verändern würde, kam grunzend ein Nein. Justus ärgerte sich maßlos und stampfte ungestüm in den Boden. Just in diesem Moment trat Stilzchen auf ihn zu und wurde am Fuß getroffen. „Nun bist Du ein Humpelstilzchen“, fand Justus seinen Humor wieder und grinste schadenfroh. „Freu Dich auf Mittwoch und nimm Dir für Donnerstag nicht allzu viel vor“, konterte das Wesen. Von hinten spürte er eine Hand an seiner Schulter und wollte schon abwehren, als er Felicitas Stimme vernahm. „Was machst Du da, Justus?“, hauchte sie. „Eine Wald… eine Wald… ähh.. ich suche Waldbeeren“, meinte Justus. „Aber Justus, die Zeit dafür ist schon vorüber und jetzt komm“, wies sie ihn an. Nach der wunderbaren Zeit mit Felicitas machten sich beide auf den Heimweg und der Vorfall mit dem Stilzchen war auch schon wieder vergessen, es überwog es die Vorfreude auf das nächste Mal am Donnerstag. Bis zum Wochenende blieb alles ruhig, als dann doch am Sonntag Abend dieses dämliche Stilzchen in Justus Wohnzimmer auftauchte, als er vom Stammtisch nach Hause kam. Justus wimmerte und entschuldigte sich mehrmals förmlich. Das alles half nichts. Am Ende aber fand das Stilzchen Gefallen an der Unterhaltung. „Wenn Du den Namen meiner Geliebten errätst, werde ich dich von deinem Versprechen entbinden und dir den Aufenthaltsort der Waldfee verraten“, hielt das immer noch humpelnde Stilzchen freudig fest. Justus ließ sich auf die Sache ein und bedingte sich drei Versuche aus. Am Montag tippte er auf „skogsrå“, der skandinavische Name für Sirene. „Leider falsch, nur mehr zwei Versuche!“, freute sich das Stilzchen. Am Dienstag tippte er auf „Holla, die Waldfee“. „Originell, aber wieder falsch, nur mehr ein Versuch“, überschlug sich das Stilzchen übermütig. Justus grübelte die ganze Nacht und der Mittwoch Abend rückte immer näher. In seiner Verzweiflung suchte er den Wald auf und murmelte vor sich hin. Wie aus dem Nichts erschien wiederum die aufdringliche Pensionistin. Justus ließ den plumpen Annäherungsversuch diesmal zu, schließlich war alles besser als das humpelnde Stilzchen und so erklommen beide den bekannten Hochstand. Während des beginnenden Liebesspiels fragte er sie nach der Waldfee. Die Pensionistin schien einiges über sie zu wissen. Justus erkundigte sich über immer mehr Details, Körpergröße, Gestalt, Haarfarbe und am Höhepunkt nach dem Gang. Es war kein einfaches Unterfangen, bis Justus die Sache zur Zufriedenheit abschließen konnte. Die Pensionistin bedankte sich bei ihm überschwänglich und bestand auf ein Wiedersehen, was Justus unter Zuhilfenahme abenteuerlicher Ausreden zu verhindern wusste. Schließlich waren der Mittwoch Abend und Justus’ letzte Chance gekommen. „Deine Geliebte heißt nicht Rumpelstilzchen, auch nicht Aimee, sondern Fiona und ist die Waldfee!“, rief Justus siegessicher. Das Stilzchen hyperventilierte, schlug unentwegt Saltos, schrie sich die Kehle aus dem Hals und verschwand spurlos. Auf die Lösung war Justus im Liebesakt mit der Pensionistin gekommen, die ihm erzählte, dass die beschriebene Waldfee sich mit einem Wesen treffen würde, das beim ersten Kuss dem diesjährigen Salzburger Jedermann bis ins kleinste Detail glich. Das Aussehen des Stilzchens war auch im Nachgang dem letztjährigen Teufelskostüm aus dem Jedermann doch sehr ähnlich. Fionas Jedermann-Abo lief nun zum Sommerende aus und Justus vergnügte sich mit Felicitas weiter wieder ungestört. Dass Fiona auf das nächste Oasis-Konzert, die sich unerwarteter Weise wieder vereeint hatten, fahren würde und sie sich weiter den kulturellen Höhen widmete, kostete Justus ein müdes Lächeln, da ihre Hobbys letztendlich doch die gleichen waren.
Harald und Michael, 4. September 2024