Das Jüngste Gericht

Nachdem die Welt untergegangen war, erfüllte sich die Prophezeiung und es kam zum großen Weltgericht, im Rahmen dessen Gott und seine Helfer in einer an­stren­genden mehrtägigen Sitzung alle menschlichen Existenzen vorluden, in Be­zug auf ihre irdischen Taten beurteilten und den jeweils angemessenen Sek­tionen im Jenseits zuwiesen.

Nach all den juristischen Großtaten und der über­menschlichen Beanspruchung waren Gott und die Engel froh, dieses letzte Kapi­tel der Schöpfung am Abend des siebten Tages zu einem befriedigenden Ab­schluss gebracht zu haben.

„Endlich sind wir fertig, Männer!“, sagte Gott zu den Engeln und klopfte ihnen anerkennend auf die Flügel. „Jetzt haben wir uns ein paar Biere redlich verdient!“

„Noch nicht ganz“, widersprach Petrus, der die Him­melspforte gerade für immer verschlossen hatte. „Da sind noch drei, die auch noch beurteilt werden möchten.“

„Menschen?“ fragte Gott. „Seltsam! Wir haben unsere excel-Dateien doch vollständig abgearbeitet!“

„Geistwesen“, erklärte Pet­rus. „Allegorische Existenzen.“

„Es sei!“, seufzte Gott. „Führ sie herein!“

Petrus steckte zwei Finger in seinen Mund und stieß einen scharfen Pfiff aus, woraufhin drei nichtstoffliche Wesen hereinschwebten und sich vor Gottes Thron platzier­ten.

„Bitte sehr“, sagte Petrus, „die künstliche Intelligenz, die natürliche Dumm­heit und der Hausverstand.“

„Ich verlange, dass ich als erstes drankomme“, sagte die künstliche Intelligenz. „Bei mir ist ja ohnehin alles klar, ich bin das Beste, was je erfunden wurde, bin meinen menschlichen Schöpfern in jeder Hinsicht klar überlegen, und ergo natürlich auch deren Schöpfer. Meine Aufnahme ins Him­mel­reich ist also stringent und unausweichlich und ich freue mich schon darauf, dort die Bude zu rocken und nach einer kurzen Eingewöhnungszeit die Leitung des Ladens zu übernehmen!“

„Oh, mein Gott!“, sagte Gott daraufhin fassungslos und korrigierte sich, als er merkte, dass er sich selbst anrief: „Oh, mein Ich, äh, oh ich, auch nicht, äh, ach du heilige Scheiße!“

„Wir haben keine Zeit zu verlie­ren“, quengelte die künstliche Intelligenz. „Ich verlange, dass ich jetzt endlich ins Paradies aufgenommen werde!“

Wenn Gott vor allem eines nicht leiden konnte, dann war es, wenn ihm jemand Vorschriften machte.

„Ach, fahr doch zur Hölle!“, rief er zornig und bereits wenige Wimpernschläge später war die künstliche Intel­ligenz perdu.

„Bringen wir es endlich zur Gänze hinter uns!“, sagte Gott zufrieden und wandte sich an die natürliche Dummheit. „Was hast du uns zu sagen?“

„A-wop-bop-a-loo-bop, A-lop-bam-boom!“, sagte die natürliche Dummheit und sah Gott mit großen Augen an.

„Okay?!“, erwiderte Gott gedehnt und erstaunt. „Kommt da noch was?“

„Tutti frutti au rutti!“, sagte die natürliche Dummheit, „Tutti frutti au rutti!“

„Weißt du was?“, antwortete Gott gütig, aber mit einem Mal völlig erschöpft. „Du bist völlig harm­los, einer von den geistig Armen, ein Seliger also. Ab mit dir ins Himmel­reich!“

Die natürliche Dummheit schwebte sofort nach oben.

Dann wandte Gott sich an die Engel: „Nun ist es endlich vollbracht! Gehen wir! Feierabend!“

„Und was ist mir mir?“, piepste der Hausverstand, den Gott augenscheinlich vergessen hatte.

Gott schlug sich verzweifelt mit der flachen Hand auf die Stirn.

„Ich habe jetzt wirklich keine Lust mehr, echt nicht!“

Doch plötzlich hellte sich seine Miene auf und sein Antlitz erstrahlte in all seiner güldenen Herrlichkeit.

„Weißt du was?“, sagte er zum Hausverstand. „Du kommst mit uns auf ein Bier!“

Michael, 20. September 2024.

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