Meiner Familie erklärte ich bei fast jeder Gelegenheit, dass ich für sie nur bedingt Zeit hätte, da mein Naturell einem Adler entspräche, der nun einmal die Freiheit suchen würde. Meine Freundin bezeichnete ich als große Eule und unsere gemeinsame Tochter als kleine, dies weniger wegen deren Weisheit, sondern eher aufgrund der Drehbarkeit ihrer Köpfe, denn es schien zumindest meiner Freundin kaum etwas zu entgehen. Wenn ich früh morgens nach einem Treffen mit Freunden heimkam, drehte sie schon ihren Kopf aus dem Schlafzimmer, um mich einer genauen Befragung zu unterziehen. Ich konnte ihrer Sprache nicht folgen, es handelte sich für mich – wiederum eine Ähnlichkeit zu Eulen – um geheimnisvolle Geräusche und so versuchte ich erst gar nicht mehr, eine adäquate Antwort zu finden, sondern ging sofort zu Bett. Das ging einige Monate gut, bis ich im Vollrausch ihr von einem hübschen Nachteulchen berichtete. Nächsten Morgen konnte ich mich an gar nichts mehr erinnern. Ich wollte meine beiden Eulen wecken, keine war mehr anwesend. Ich suchte das ganze Haus ab, nichts deutete mehr darauf hin, dass wir hier bis jetzt als glückliche Familie gelebt hatten. Ich zweifelte an meinem Verstand, warf Aspirin ein und duschte eiskalt. Die kleine und die große Eule waren ausgeflogen und kurze Zeit später fand ich im Garten drei Holzstämme mit einem Adler sowie einer kleinen und einer großen Eule. Im Laufe der Zeit wurde das so etwas wie mein Altar. Meine Stimmung sank immer mehr und später legte ich aus Verzweiflung dem Adler sogar Ketten an. Es war wirklich verrückt, bereits nächsten Tag waren die große und die kleine Eule wieder im Haus und die Familie war komplett, als wäre nie etwas passiert. Mir ging es aber trotzdem nicht besser, ich fühlte wie der Adler aus Holz die Ketten tief in meiner Brust. Selbst das Atmen fühlte sich als große Belastung an und entzog sich jeder Natürlichkeit. Ich sprengte wieder die Ketten am Holzadler und ich spürte jetzt schon wieder die Gefahr, die kleine und die große Eule zu verlieren. Nächtelang suchte ich nach einer Lösung und habe dann den beiden Holzeulen jeweils eine Adlerfeder sowie dem Holzadler zwei Eulenfeder angesteckt. Der Drahtseilakt war sehr herausfordernd, immer wieder rangen wir zwischen Nähe, Verbundenheit und Freiheit. Manchmal verpassten meine beiden Eulen dem Holzadler eine dritte Eulenfeder, während ich nächtens dann wieder zwei Eulenfedern dem Holzadler abnahm. Hübsche Nachteulchen waren tatsächlich nur mehr die Ausnahme, schließlich wollte ich nicht riskieren, dass mein Holzadler ein Eulenfederkleid zur Gänze verpasst bekommen würde und gar meine beiden Eulen wieder ganz das Weite suchten. Dass der Geist der Freiheit bei unseren Holzfiguren seine Finger im Spiel hatte, war zumindest ich mir ganz sicher.
Harald, 11. Oktober 2024.
Literarisches Jagdgeflüster 