Eine überraschende Diagnose


Als Wulf vor geraumer Zeit einige Wochen vor einer Bundestagswahl an merkwürdigen Verdauungsbeschwerden litt, schlief er nur sehr schwer ein. Als es einmal gar nicht klappen wollte, griff er in seiner Verzweiflung zu einer Schlaftablette, deren Wirkung ihm schließlich einen bleiernen Schlummer bescherte, in dem er heftig zu träumen begann (was ihm aber natürlich zu jenem Zeitpunkt nicht bewusst war).

Es gelang ihm, einen Termin beim renommiertesten Proktologen des gesamten Abendlandes zu ergattern, bei Professor Chlodwig Untersteiß, den alle nur „das Arschloch“ nannten, aber nicht aus Respektlosigkeit, sondern aus schierer Wertschätzung für seine alles überragende proktologische Kunst.

Wulf saß in Wartezimmer und blätterte nervös im Darmstädter Verdauungsblatt, das in mehreren Exemplaren zur kostenlosen Lektüre auflag. Als geraume Zeit später die Sprechstundenhilfe ihren Kopf zur Tür hereinsteckte und „Das Arschloch ist jetzt frei!“, rief, verstand Wulf nicht, was sie meinte und setzte ein hilfloses Lächeln auf. Die Sprechstundenhilfe spürte Wulfs Ratlosigkeit und lieferte die Übersetzung: „Der Herr Professor wird Sie jetzt untersuchen.“

Wulf folgte der Frau ins Behandlungszimmer, in dem Chlodwig Untersteiß bereits hinter seinem Schreibtisch saß. Er streckte Wulf gleich die Hand hin und bat ihn, Platz zu nehmen.

„Was führt Sie zu mir?“

„Verdauungsprobleme“, erwiderte Wulf, „arge Verdauungsprobleme.“

„Die sich wie äußern?“, hakte der Professor nach.

„Wenn ich zu Bett gehen will“, erklärte Wulf, „plagen mich heftige, schmerzhafte Darmwinde, die gar nicht mehr aufhören wollen. Die Winde selbst sind aber gar nicht das Schlimmste, sondern das unerträgliche, schallende Gelächter, das sie begleitet. Dieses Gelächter, das müssen Sie sich vorstellen, Herr Professor, dringt tatsächlich aus meinem Anus hervor, zeitgleich mit den Winden. Beides zusammen raubt mir jedweden Schlaf. Sie müssen herausfinden, wer in meinem Gekröse sitzt und mich von innen her auslacht.“

„Hm“, machte Chlodwig Untersteiß und wies auf ein Untersuchungsutensil in einer Ecke des Behandlungszimmers. „Machen Sie sich bitte frei und setzen Sie sich dort hin. Ich habe schon einen Verdacht. “

„Ich werde mich doch nicht“, protestierte Wulf, „vor Ihnen auf eine gläserne Klomuschel setzen! Mit Verlaub, das geht zu weit!“

„Dies ist ein sündteures japanisches Diagnoseklo“, sagte der Professor. „Entweder nehmen Sie nun auf ihm Platz oder verlassen augenblicklich meine Praxis!“

Wulf fügte sich murrend. Vom Fuß des Klos ließ der Professor mit einer Fernsteuerung in Wulfs Kehrseite eine winzige Drohne hineinfliegen, die alsbald gestochen scharfe Bilder auf einen Monitor lieferte.

„Dachte ich’s mir!“, rief der Professor triumphierend. „In ihrem Dickdarm sitzt eine Art Kobold, ein sogenannter Analer Flatulenzdämon, der sich über Sie lustig macht und Sie piesackt. Sehen Sie nur, wie der kleine Kerl versucht, sich in der Schleimhaut zu verkriechen!“

„Das ist ja entsetzlich!“, klagte Wulf. „Wie um alles in der Welt bekommen wir den blonden Dämon aus meinem Darm heraus?“

„Operativ geht gar nichts“, erwiderte der Professor. „Wenn der kleine Quälgeist mein Skalpell wittert, kriecht er hinauf bis ins Zwerchfell und versteckt sich dort. Ein Vergrämungsspray wird auch nicht zum gewünschten Erfolg führen, weil der Dämon im Darm olfaktorisch natürlich einiges gewohnt ist.“

„Was können wir bloß tun, Herr Professor?“

„Ich rate zum Verzicht auf den Verzehr von Spaltpilzen und von rechter Trennkost und natürlich von Eiernockerln mit grünem Salat. Dann wird der Dämon irgendwann absterben.“

„Das ist alles?“, fragte Wulf enttäuscht.

„Das ist leider alles“, seufzte der Professor und beorderte die Drohne zurück aus Wulfs After. „Sie haben noch einen langen Weg vor sich. Sie müssen tapfer sein und geduldig. Sie dürfen sich nun wieder ankleiden. Wenn Sie hinausgehen, sagen Sie Leni, dass sie doch bitte den nächsten Patienten hereinschicken möge.“

Ernüchtert verließ Wulf die Praxis des Proktologen. In den folgenden Wochen bemühte er sich sehr, seinen Speisezettel den Vorschlägen Chlodwig Untersteiß‘ anzupassen, scheiterte aber immer wieder an seinem unstillbaren Hunger nach Eiernockerln mit grünem Salat. Der Flatulenzdämon lachte daraufhin oft nächtelang aus Wulfs flatterndem Anus heraus. An erholsamen Schlaf war unter diesen Umständen keinesfalls zu denken.

Am Tag der Bundestagswahl schleppte Wulf sich todmüde zum Wahllokal, ließ sich seinen Stimmzettel aushändigen und betrat die Wahlkabine. Er überflog die Abkürzungen der wahlwerbenden Parteien und blieb an einer Stelle hängen.

„Moment mal“, dachte er, „AFD? Analer Flatulenzdämon? Nein, nein, die Ähnlichkeit ist rein zufällig und es besteht keinerlei Zusammenhang!“

Plötzlich stellten sich aber auch zu den anderen Abkürzungen Assoziationen ein. CDU deutete er als „Chronisch degenerativen Unfug“, den es im Doppelpack gab, zusammen mit einem weiteren Unfug, dem CSU, dem „Chronisch söderativen Unfug“, SPD stand für ihn für „Senile Prädemenz“, FDP für „Früher dein Problem“. Zwei weitere Gruppierungen gab es noch, ein BSW, zu dem Wulf „Bleibt so wenige“ einfiel, und sogenannte Grüne, die sich gar nicht abkürzten.

Nach kurzer Überlegung machte Wulf sein Kreuzchen bei den Grünen, weil es ihm sympathisch war, dass sie ohne Abkürzung auskamen.

Als er wieder zu Hause war, überfiel ihn gleich eine überraschende Müdigkeit, die zu sofortigem erquickendem Schlaf führte, ohne jegliche Flatulenzen und ohne das begleitende Gelächter eines Dämons. Bei diesem optimalen Zustand blieb es auch in den folgenden Nächten.

Im Rahmen einer Kontrolluntersuchung auf Professor Untersteiß‘ japanischem Diagnoseklo stellte sich ein paar Wochen später heraus, dass der Dämon gänzlich unbemerkt aus Wulfs Darm abgegangen sein musste. Noch in der Praxis des Professors schlief Wulf erleichtert sofort wieder ein.

Als er endlich endgültig aus seinem irren Traum erwachte und in die Realität zurückkehrte, wusste er sofort, was zu tun war. Er kaufte sich zum ersten Mal in seinem Leben ein langärmeliges, buntes Hemd und krempelte die Ärmel auf.

Michael, 25. Oktober 2024

Nachbemerkung des Autors: Natürlich hätte es mir als Österreicher gut zu Gesicht gestanden, wenn ich vor unserer eigenen Tür gekehrt und meine Geschichte im eigenen Land verortet hätte. Die Abkürzungen der deutschen Parteien lassen sich aber viel einfacher kreativ interpretieren. Und ich weiß natürlich, dass CDU und CSU nicht auf dem selben Stimmzettel zu finden sind und dass das deutsche Wahlverfahren mit Erst- und Zweitstimmen komplizierter abläuft, als dass man einfach irgendwo sein Kreuzchen macht.

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