Norbert verließ gegen drei Uhr morgens die after-work-Party. Kurze Zeit später – diesmal ohne einer Lieblingskollegin – zuhause angekommen, trank er noch ein Glas Wasser und stellte es zum restlichen Geschirr. Vielleicht, dachte er sich, sollte er doch mal wieder den Abwasch erledigen, da er sich gar nicht mehr erinnern konnte, wann er sich zuletzt um seinen Haushalt gekümmert hatte. Sein Blick glitt zu einer auf der Fensterbank befindlichen Öllampe, den ihm sein mittlerweile verstorbener Vater aus Zypern mitgebracht hatte.
„Ein hässliches Ding“, urteilte Norbert. Das Öllämpchen fing an zu rauchen. „Und wohl selbstentzündend“, amüsierte sich Norbert nur kurz. Wie aus dem Nichts entstieg dem Rauch ein dynamischer Mann, ungefähr zehn Zentimeter groß, mit Jeans, Hemd und.Sakko bekleidet. Verdutzt stand Norbert vor ihm und schaute ihm zu, wie er langsam an den Rand der Küchenplatte ging.
„Du bist also Norbert“, schaute er ihn verächtlich an. „Ja und du bist der Pumuckl, oder?“, fand Norbert seinen Humor wieder schnell. Das ganze Küchenregal begann zu scheppern und zu wackeln, als wäre es von einem Erdbeben zumindest der Stärke 5 betroffen. Norbert erschrak und hörte dem kleinen Wesen nun aufmerksam zu.
Er erklärte, er wäre ein Herdgeist und als solcher wurde er hier nie gefüttert, obwohl er sich ständig um alles kümmert. Nicht nur, dass er Geschirr wusch, verräumte, sondern dass er in letzter Zeit auch kochen musste ohne auch nur jemals einen Dank zu erfahren. „Dir ist das ja nicht einmal aufgefallen!“, erboste sich der Herdgeist. „Ich habe mir ehrlicherweise gedacht, dass die eine oder andere Lieblingskollegin bevor sie das Weite gesucht hatte, noch am Morgen etwas auf den Herd stellte“, meinte Norbert nachdenklich. Der einen oder anderen Lieblingskollegin hätte er das durchaus zugetraut und war jetzt fast enttäuscht, dass hier der Herdgeist einspringen musste.
„Was möchtest Du also essen?“, frage ihn Norbert ganz ernsthaft, da ihm die Qualitäten des Herdgeistes immer mehr bewusst wurden und dieser bereits gedroht hatte, auszuziehen oder noch schlimmer sich zu einem Poltergeist zu entwickeln, der nicht einmal seine Lieblingskolleginnen verschonen würde, wobei Norbert letzteres Argument noch wichtiger erschien. „Einmal wöchentlich fermentierte Karotten, etwas schwarzen Kaviar, eine Drachenfrucht und Haselnüsse“, meinte der Herdgeist, „täglich möchte ich noch als Beachtung meiner Herkunft Halloumi-Käse und Trahana-Suppe“. Norbert erstellte eine Einkaufsliste, bis auf die seiner Meinung nach alltäglichen Dinge wie schwarzen Kaviar und Drachenfrüchte hatte er nichts zu Hause.
Der Herdgeist ließ sich immer wieder blicken und lobte Norbert, dass er an der Qualität seiner Wünsche nicht sparen würde, besonders die fermentierten Karotten, die Norbert von seiner Mutter bekommen hatte, wären vorzüglich. Wenn die eine oder andere Lieblingskollegin ihn nach einer after-work-Party mal wieder nach Hause begleitete, wurde jedes Mal erwähnt, was für ein toller Mann er wäre und wie er den Haushalt mittlerweile im Griff hätte. Er antworte sinngemäß, dass er er sich als moderner Mann natürlich auch um die alltäglichen Dinge wie Essen selbst kümmern würde.
Dass Norbert damit nun Vorbild für eine ganze Generation von Männern, die über keinen Herdgeist verfügten, wurde, konnte er zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen. Als späte Wiedergutmachung erzähle er die Geschichte einem Freund, der versprach, diese in einem Blog zu veröffentlichen.
Harald, am 08. November 2024