Gastbeitrag: Wie es kam, dass Herr Emm einen blasphemischen Gedanken hatte

Zu einer Zeit als es bis zum Längerwerden der Tage noch einen guten Monat hin war, wurde Herr Emm in stockfinstrer Nacht plötzlich wach und einem inneren Drang folgend suchte er ein gewisses Örtchen auf. Wieder zurück im warmen Bett fand Herr Emm keinen Schlaf. Plötzlich sah er eine verschwommene Gestalt am Fußende seines Bettes.
„Wer bist du“ stammelte Herr Emm.
„Schön hast du’s hier“ antwortete die Gestalt, „aber deswegen bin ich nicht gekommen, auf Dauer viel zu warm für Unsereins. Aber entschuldige, ich habe mich ja noch gar nicht vorgestellt. Eban Eissers-Krutsch pe haa, sehr erfreut.“
„Peh Ha?“
„Posthum“

Herr Emm schluckte und begann am ganzen Leib zu zittern. Ein Geist in seinem Schlafzimmer. Herr Emm blickte zur anderen Bettseite wo seine Frau noch friedlich schlummerte.

„Keine Angst, sie wird nichts bemerken, ich bin ja nicht erst seit gestern Geist“ meinte der Geist als hätte er Herrn Emms Gedanken gelesen.
„Was willst du, Geist? Wen habe ich an Weihnachten vergessen?“
„Zu Weihnachten, es heißt ZU Weihnachten und du hast niemand vergessen.“
„Was soll ich sonst tun?“ in Herrn Emm stieg langsam Panik auf und er plapperte relativ sinnbefreit weiter „bist du mit deiner Darstellung durch Bill Murray unzufrieden?“
„Der war doch lustig, ich habe sehr gelacht. Auch Michael Caine mit den Muppets habe ich super gefunden. Nein, nein, darum geht es nicht. Lies am Morgen die Tageszeitung bis zur letzten Seite, recherchiere und mach dir Gedanken über das Gelesene. Ich komme eventuell wieder und befrage dich“ sagte es und ward verschwunden.

Am nächsten Tag in der Früh las Herr Emm auf der letzten Seite seiner Morgenzeitung, Herr Emm bevorzugte die Printausgabe, einen Bericht über das Steyrer Christkindl.

Die Verwandlung in das Christkindl ging natürlich nicht ohne irdische Helfer vonstatten, konnte Herr lesen. Sechs Röcke mit einem Gewicht von zusammen ungefähr 11 Kilo musste das Wesen überstreifen um zum Christkindl zu werden. Mehr als hundert Swarovski Glitzersteine zierten das Kostüm.

Weiters las Herr Emm, dass das Christkindl eines offenen und freundlichen Wesens und keinerlei Scheu im Umgang mit Menschen bedürfe. Sehr interessant, dachte Herr Emm.

Seine Neugier war geweckt und Herr Emm forschte über das Christkindl nach. Ursprüngliche zeigte es sich in der Gestalt des neugeborenen Jesusknaben und verdrängte im Laufe der Zeit den heiligen Nikolaus als Gabenbringer. Vielleicht auch, weil Sankt Niklaus angeblich drei, wahrscheinlich minderjährige, Sexarbeiterinnen reichlich beschenkt hatte. „Politisch nicht korrekt“ murmelte Herr Emm, „aber typisch katholischer Würdenträger.“  Später näherte es sich immer mehr der traditionellen Form des Verkündigungsengels an, der laut Erzählung den Hirten auf dem Feld erschienen war. ‚Also wallendes Goldhaar und so‘, dachte Herr Emm. Zu guter Letzt wurde es zu einer jungen, blonden Frau nach Vorbild des Nürnberger Christkinds ab 1933. Herr Emm las auch über den Verdrängungswettbewerb zwischen Christkind und Nikolaus und viele andere Dinge. Eine Sache ging ihm aber nicht aus dem Kopf.

Ein paar Nächte später rüttelte ihn Eban Pe Haa – wie er ihn in Gedanken nannte – unsanft aus dem Schlaf.
„Emm, mein Bester, hast du die Zeitung sorgfältig bis zur letzten Seite gelesen und dir Gedanken gemacht? Und hoffentlich nicht nur über den Zerfall der deutschen Bundesregierung und das Fernsehprogramm!“
„Natürlich“, antwortete Herr Emm.
„Eine Frage geht mir nicht mehr aus dem Kopf.“
„Ich höre!“
„Wenn das Christkind von einem Knaben in Bethlehem zu einer blonden Frau und schließlich wie Conchita aussehend bestialisch umgebracht wurde – hätte dann nicht auf dem Schild statt INRI LGBTQ+ stehen müssen?“ So kam es, dass Herr Emm, wäre er nicht Atheist, einen blasphemischen Gedanken hatte.

Linz, am 27. November 2024, Namen, Personen und Handlung sind frei erfunden, jede Ähnlichkeit mit lebenden, verstorbenen und sonstigen Personen ist zufällig und unbeabsichtigt.

(C) 2024 Martin Siegel

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