Weihnachten wie damals

Nostalgisch dachte ich an früher. Es schneite bereits seit 22. Dezember durchgehend, sodass ich draußen bei der Einfahrt im aufgehäuften Schnee mit einem Freund einen Iglu bauen konnte. Dass dieser kurz darauf einbrach und mein Freund nur mit Hilfe der Nachbarn aus seiner misslichen Lage befreit werden konnte, verblasste in meiner Erinnerung. Die Krippe, die kurz vor dem heiligen Abend aufgestellt wurde, steigerte jedenfalls meine Vorfreude. Und der Christbaum mit seinen brennenden Kerzen war dann der Höhepunkt. Das Leuchten in meinen Augen… „Papa!“ … werde ich nicht…. „P-a-p-a!“.. Mein zwölfjähriger Sohn riss mich abrupt aus meinen Erinnerungen. „Wie lange dauert es bis zu meiner Playstation?“, fragte er zappelnd. „Du meinst wohl, wann endlich Weihnachten ist?“, fragte ich ihn leicht ermahnend. Das schien ihn wenig zu interessieren, erst recht nicht, als ich versuchte, ihm die Ursprünge dieses Festes näherzubringen. „Was hat das jetzt alles mit meiner Playstation zu tun?“, fragte er nach meinen längeren fundierten Ausführungen. Es war wohl Hopfen und Malz verloren, doch ich hatte eine Idee. Es müsste doch möglich sein, diese aufregende Vorfreude und diese besondere Zeit von damals wieder zum Leben zu erwecken. Ich kramte mein altes Fotoalbum aus dem Kasten hervor, blätterte darin, bis ich tatsächlich ein Foto aus meiner Kindheit mit dem Weihnachtsbaum im Hintergrund entdeckte. Ich besuchte daraufhin meine Mutter, die mir bereitwillig den wunderschönen alten Weihnachtsschmuck mit den Worten „den Krempel kannst du gerne mitnehmen“ übergab, da – wie sie kurz erwähnte – heuer sowieso Burgundy, die Modefarbe schlechthin, auch bei den Christbaumkugeln angesagt wäre. Zuhause angekommen schmückte ich diesmal den Baum bereits zwei Tage vor Weihnachten und ließ die Türen zum Wohnzimmer versperrt. Trotz des Baumschmucks aus meiner Kindheit kam für mich noch nicht die richtige Stimmung auf. Im Regal stand noch eine fast volle Flasche Whiskey, wohl vom letzten Weihnachtsfest, und ich schenkte mir ein Glas davon bodenbedeckt ein. Irgendetwas ging dem Weihnachtsbaum noch ab. Ich ging auf die Homepage eines bekannten Versandhändlers. Zuerst landeten Honigkerzen mit Knistereffekt im Warenkorb. Ich füllte mein Glas nochmals, da meine Stimmung aufgrund der weiteren Kaufvorschläge nun doch deutlich stieg. Ich entdeckte ein Set von sechs Christbaumkugeln, die unter anderem eine Kaviardose, eine Gurke und eine Flasche Prosecco imitierten. Ich trank noch etwas Whiskey und drückte dann auf den Button „Bestellung“. Zufrieden ging ich schlafen und tatsächlich trafen die Waren wie angekündigt noch am 24. Dezember vormittags ein. Ich verschloss mich wieder im Wohnzimmer und vollendete meinen Weihnachtsbaum. Zufrieden schaute ich auf mein Werk und wusste, dass dieses Mal unsere kleine Familie glücklich vor dem Weihnachtsbaum sich versammeln würde und den lange vergessenen Zauber von früher wieder spürten. Etwas betrüblich fand ich, dass ausgerechnet meine Schwiegermutter unbedingt mit uns Weihnachten feiern wollte, aber meine gute Laune war schließlich doch größer. Am Abend zündete ich die Kerzen an, läutete mit der kleinen Glocke und rief freudig, dass das Christkind nun auch bei uns vorbeigeschaut hätte. Aufgeregt lief mein Sohn zum Christbaum, kurz darauf folgte meine Frau mit ihrer Mutter. Die Überraschung war geglückt, alle schauten auf den mit echten Kerzen erleuchteten Baum. Das Knistern der Honigkerzen erzeugte eine unbeschreiblich schöne Stimmung. Ich flüsterte andächtig: „Das ist Weihnachten wie damals.“ Selbst meine Schwiegermutter nickte anerkennend. Als mein Sohn nach dem Singen des obligatorischen Weihnachtsliedes „Stille Nacht, heilige Nacht“ gerade auf sein Geschenk unter dem Baum zurannte, passierte etwas – sagen wir mal – nicht Vorhersehbares. Der Ton der zuvor leicht knisternden Honigkerzen wurde etwas intensiver und nur Sekunden später sprühten diese Leuchtkörper in goldenen Farben von allen Seiten. Ich lächelte wissend und versuchte mit meiner abgeklärten Miene auszustrahlen, dass ich alles fest im Griff hätte. Mein Sohn nahm einen weiteren Anlauf, als eines der besonderen Christbaumkugeln explodierte. Ich tippte auf den Schmuck, der den Kaviar darstellte, da im Wohnzimmer nun überall kleine schwarze Kugeln rollten. Mein Sohn, sichtlich irritiert, aber immer noch frohen Mutes, an das Geschenk zu kommen, rutschte erst mal auf den kleinen Kugeln aus und richtete sich fluchend wieder auf. Kaum stand er, explodierte die Gurke und verbreitete einen übel riechenden grünen Rauch im ganzen Raum. Mein Sohn versuchte das Geschenk nun zu ertasten, als der Prosecco zu zischen begann. Dieser schoss wie eine Rakete los und schlug im alten Bild, das ich von meiner Großmutter geschenkt bekam, ein. Dieses fiel herunter und nahm auch die gleich die leere Flasche Whiskey mit, die am Boden in Scherben aufging. Der Ständer, auf dem der Baum sicher zu stehen schien, entzündete sich und hervor kam so etwas wie eine Abschussrampe. Leuchtkörper schossen den Baum empor und entzündeten diesen, um dann lautstark in der Decke einzuschlagen. Das Feuer griff auf die Geschenke über und vor allem des Buben elektronisches Spielzeug roch besonders übel beim Abbrennen. „Gottseidank muss das mein Franzl nicht mehr erleben“, raunte die Schwiegermutter mit versenkten Haaren. Ich versuchte vor allem meine Frau zu beruhigen, dass diesmal Weihnachten zumindest unvergesslich bleiben würde, ohne Erfolg. Sie zog samt unserem gemeinsamen Sohn bereits am gleichen Abend zur Schwiegermutter. Zu Silvester saß ich nun allein im Garten und zündete ebenfalls aus Tradition eine große Rakete, die ich im Zuge der Weihnachtsbestellung gleich mit in den Warenkorb legte, an. Diese hob zu meinem Erstaunen nicht ab, sondern es öffnete sich die Pappröhre. Es erschien ein kleines Christkind, das sich zu „Last Christmas“ langsam im Kreis drehte. Im Garten wurde es nun ganz hell und ich hörte ein höhnisches Lachen von einem Wesen, das sich als  viktorianischer Geist der Nostalgie vorstellte. Als ich gerade diesen blöden erschienenen Engländer auf das Übelste beschimpfen wollte, kam meine Nachbarin, die ich durchaus als sehr attraktiv empfand, zu mir in den Garten und bedankte sich, dass ich nun endlich zu Silvester keinen Lärm mehr machen würde und sie mir so viel Romantik gar nicht zugetraut hätte. Dem Geist blieb nun sein Lachen im Halse stecken und er war so schnell weg wie er gekommen war. Die Neujahrsnacht gestaltete sich in unerwarteter Zweisamkeit edenfalls sehr versöhnlich. Meine Ex-Frau und mein Sohn bekamen das Haus, tröstlich für mich war, dass ich für meinen Umzug keinen Umzugsdienst benötigte, sondern ich die gepackten Koffer nur über den Gartenzaun reichen musste. Die Nachbarschaft zu meiner ehemaligen Familie gestaltete sich wider Erwarten sehr harmonisch, nur Weihnachten wollten sie nicht mehr gemeinsam mit mir feiern, was ich letztendlich auch verstand.

Harald, 20. Dezember 2024.

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