Schallbrecher

Otto kaufte sich in einer sehr fragwürdigen Musikalienhandlung eine gebrauchte Trompete. Weil er sehr wenig Geld besaß – genaugenommen nicht mehr als elf kanadische Dollar – musste er sich mit einem sehr alten unansehnlichen Instru­ment bescheiden.

„Ist die auch noch gut?“, fragte er den Verkäufer und ließ eine gehörige Portion Skepsis mitschwingen. „Die elf Dollar sind nämlich meine ge­samte Barschaft.“

„Alles, was ich verkaufe, ist noch gut, Mann!“, erwiderte der Verkäufer und nahm seine Sonnenbrille ab, unter der er eine weitere Sonnenbril­le trug. „Wenn du dich richtig ins Zeug legst beim Spielen, wirst du voll auf deine Kosten kommen.“

Otto legte die elf Dollar auf den Ladentisch, schnappte seine Trompete und machte sich auf den Heimweg. Er hielt es für das beste, das Instru­ment einer gründlichen Reinigung zu unterziehen, ehe er auf ihm spielte und ihm die ersten Töne entlockte.

Er zog sich aus und stellte sich mitsamt seiner Trom­pe­te unter die Dusche.

„Spinnst du?“, rief eine Stimme aus dem Schalltrichter, als das warme Wasser hineinplätscherte. „Du kannst doch ein mehr als 2000 Jahre altes Instrument nicht einfach unters Wasser halten!“

„Kann ich doch!“, entgeg­ne­te Otto ungerührt. „Ich habe immerhin elf Dollar dafür bezahlt. Kanadische. Wer bist du überhaupt?“

„Ich bin Marius, der Messinggeist. Ich wohne seit über 2000 Jahren in dieser Trompete. Du bist der erste, der mich ertränken will.“

„Ich brauche keinen Geist in meiner Trompete“, sagte Otto und seifte den Schalltrich­ter außen mit Duschgel ein. „Ich will bloß einen sauberen Ton, wenn ich spiele.“

„Leg dich bloß nicht mit mir an!“, sagte der Messinggeist. „Ich bin ein mächtiger Geist. Ich habe Nahost-Erfahrung.“

„Pah!“, erwiderte Otto und spritzte mit dem Dusch­kopf noch einmal kräftig in den Schalltrichter der Trompete. „Mich kannst du nicht einschüchtern!“

„Blas doch einfach in die Trompete hinein!“, tönte Marius. „Dann wirst du es schon sehen!“

Otto stellte lachend das Wasser ab, setzte das Instrument an seine Lippen und blies herzhaft ins Mundstück. Augenblicklich barst das Acrylglas der Duschkabine und auch die Wände des Badezimmers ga­ben nach und fielen in sich zusammen.

„Bist du völlig übergeschnappt?“, herrsch­te Otto den Messinggeist an. „Du hast mein Heim zerstört!“

„Ich habe dich ge­warnt“, sagte Marius, der Geist. „Nahost-Erfahrung, wie schon gesagt.“

„Was soll das heißen?“, brüllte Otto. „Was hast du dort gemacht?“

„Das gleiche wie gerade eben“, antwortete der Geist. „Ich sag nur Jericho.“

In diesem Augenblick däm­merte es Otto, der einigermaßen bibelfest war, dass er sich mit dem Falschen an­ge­legt hatte.

„Ich bin obdachlos“, sagte er zu dem Geist. „Was mach ich jetzt?“

„Keine Ahnung“, erwiderte der Messinggeist. „Vielleicht schenkt dir jemand eine gebrauchte Mundharmonika. Dann kannst du auf der Straße spielen.“

Michael, 10. Jänner 2025

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