Der eher unbedeutende Naturgeist Blasius, der für das Wohlergehen der Ringelblumen zuständig war, verspürte Langeweile. Mehrmals schon hatte er bei seiner übergeordneten Geisterbehörde um eine Ausweitung seines Aufgabenbereichs ersucht, war dabei jedoch immer auf taube Ohren gestoßen. Die Obergeister attestierten ihm mangelnde Gestaltungskraft und bloß schwaches Durchsetzungsvermögen.
Auch die Ringelblumen schätzten die Wirkmächtigkeit ihres Geistes eher gering und wuchsen und gediehen nach eigenem Gutdünken, sodass für Blasius wenig blieb, was er für seine Schützlinge tun konnte.
Er selbst war jedoch von seinen Fähigkeiten überzeugt und beschloss, eine saftige Intrige zu spinnen, die ihresgleichen suchte. Zu diesem Zweck brainstormte er erst einmal im Stillen mit sich selbst. Schon bald erinnerte er sich an eine Geschichte aus dem Tierreich, in der ein hässliches Entlein und ein wunderschöner Schwan die Hauptrollen innehatten.
Blasius überlegte, wie sich die Geschichte zur Befriedigung seiner Rachegelüste fürs Pflanzenreich adaptieren ließ. Nach kurzem Nachdenken schmiedete er einen Plan, den er unverzüglich in die Tat umsetzte.
Er schwebte sanft über die ihm anvertrauten Ringelblumen und erklärte ihnen gebetsmühlenartig, wie hässlich und mickrig sie seien und dass sicher bald jemand käme, um sie achtlos zu zertrampeln, wenn nicht er, ihr Geist Blasius, sie an eine andere Stelle verpflanzte und ihrer erbärmlichen Erscheinung mit ein wenig Dünger auf die Sprünge half.
Das penetrant suggestive Wabern zeigte bald die gewünschte Wirkung. Die Ringelblumen knickten ein, ließen schlapp ihre Blüten und Blätter hängen und baten Blasius um seine Hilfe.
Nur zu gern grub der hinterlistige Naturgeist seine Schützlinge aus und verpflanzte sie auf einen weitläufigen Acker, wo er sie mit Ritalin übergoss, was zu außerordentlichem Wachstum und schlussendlich zur gewünschten Verwandlung führte.
Als die ehemaligen Ringelblumen im abendlichen Licht im benachbarten Bach ihr Spiegelbild erblickten, sahen sie, dass sie zu hochansehnlichen, ja prächtigen und stolzen Sonnenblumen herangewachsen waren. Sie dankten dem Geist Blasius überschwänglich für seine fürsorgliche Hilfe.
Als aber am nächsten Morgen ein riesiger Mähdrescher auf den Acker fuhr und dort gnadenlos all die prächtigen, erntereifen Sonnenblumen abmähte, war unter ihnen das Wehklagen groß.
Der Geist Blasius, der vom Rand des Ackers aus genüsslich der großen Abholzung zusah, konnte sich am Ende eine spitze Bemerkung nicht verkneifen. Sie sollten sich nicht so anstellen, schmähte er die sterbenden Sonnenblumen, als Margarine oder als Öl würden sie sicher weiterhin eine gute Figur machen. Den Abtransport der geernteten Blumen begleitete er mit meckerndem, schadenfrohem Gelächter.
Wie sich herausstellte, musste irgendjemand Blasius bei den Obergeistern verpetzt haben. Bereits wenige Tage später wurde er nämlich vor die übergeordnete Geisterbehörde geladen, wo man ihm mitteilte, dass er aufgrund seines liederlichen Verhaltens nicht länger für die Ringelblumen zuständig sei, sondern ab sofort für die stinkenden Hundskamillen.
Michael, 24. Jänner 2025