„Bist du es, Waltrud?“, fragte Rudolf, der nach dem Tod seiner Frau rasch den Hof verkauft hatte. Kaum hatte er in seiner neuen Wohnung weiblichen Besuch, begann das Licht zu flackern, Musik spielte plötzlich und Türen knallten laut zu. Die Frauen suchten daraufhin schnell das Weite.
„Waltrud, bist du da?“, rief Rudolf, als auch dieses Mal seine Besucherin fluchtartig das Zimmer verließ. Doch es blieb still. Diese Art des Eingeschnapptseins kannte er nur zu gut von seiner verstorbenen Frau. Sie hatte schon immer bei Meinungsverschiedenheiten das Gespräch verweigert, schmollte und knallte gerne mal die Türen.
Vor einer Woche hatte es geklingelt. Rudolf erwartete niemanden, öffnete jedoch neugierig. Vor ihm stand eine durchaus attraktive Frau in den besten Jahren, die ihn mit einem fragenden Blick ansah, als er immer mit offenem Mund dastand. „Bitte, kommen Sie herein“, brachte Rudolf schließlich doch heraus. Sie stellte sich als seine Vermieterin vor, und Rudolf war sofort hin und weg. Doch als das Licht erneut flackerte, war er sich sicher, dass es wieder losging. Instinktiv ging er in den Vorraum, um die Wohnungstür zu öffnen, falls Susanne, wie alle vorherigen Gäste, schnell flüchten würde. Doch zu seiner Überraschung blieb sie ruhig sitzen.
„Ich werde morgen den Elektriker rufen, er soll sich das mal anschauen“, sagte sie ganz ungerührt. Selbst als die Musikbox, ohne ersichtlichen Grund, „Beat It“ von Michael Jackson in voller Lautstärke abspielte, zeigte sie keinerlei Reaktion. Rudolf hörte sogar Waltruds Stimme im Refrain – das machte ihn noch nervöser. „Ich bin schon immer ein Michael-Jackson-Fan gewesen“, sagte Susanne und nahm seine Hand. Die beiden kamen sich schnell näher, und im Schlafzimmer angekommen, begannen alle möglichen Türen zu knallen. Rudolf wusste: Waltrud war nun endgültig in völliger Rage.
Als ein kalter Wind plötzlich durch den Raum wehte, hatte Rudolf mit seiner „Manneskraft“ große Schwierigkeiten. Doch Susanne schien den Wind mit einer Handbewegung einzufangen, ihn zu einem Ball zu verdichten und dann in das Nirwana zu schicken. Der Wind verschwand, und Ruhe kehrte ein. Rudolf fühlte sich jetzt vollkommen wohl in Susannes Gegenwart.
Kurz darauf meinte Susanne: „Den Deckenventilator muss ich auch noch prüfen lassen. Die Zugschnur funktioniert nicht richtig.“ Rudolf war erleichtert. Was er bis dahin für unheimliche Phänomene gehalten hatte, schien nun eine ganz rationale Erklärung zu haben. Sogar das Auf- und Zuschlagen der Türen hatte mit dem offenen Kamin zu tun. Er begann, sich regelmäßig mit Susanne zu treffen, und war in dieser neuen Beziehung überaus glücklich. Waltrud hatte er zwar nicht vergessen, aber er bewahrte sie in guter Erinnerung. „Gespenster…“, murmelte Rudolf schmunzelnd und musste über sich selbst lachen.
Ein gutes Monat später läutete es erneut an seiner Wohnungstür. Eine junge Frau stellte sich als seine neue Vermieterin vor. Rudolf schaute sie überrascht an und brach in schallendes Gelächter aus. „Das ist Susanne! Und du bist wohl eine Betrügerin“, sagte er grinsend.
„Susanne war meine Mutter“, erklärte die junge Frau ruhig. „Sie hat hier tatsächlich gewohnt, aber sie ist schon seit drei Jahren tot.“ Rudolf starrte sie fassungslos an.
Es fiel ihm schwer, Susanne mit diesem Wissen zu konfrontieren. Sie hatte sich in all der Zeit kaum verändert und war immer noch genauso wie zu Beginn ihres Kennenlernens. Doch auch Rudolf bemerkte etwas Seltsames: Er selbst schien nicht zu altern. Dieser Gedanke ließ ihn ins Grübeln kommen.
„Susanne, du bist tot“, sagte er schließlich, nach all den Jahren, in denen er es immer wieder verdrängt hatte. „Du aber auch, mein Lieber“, antwortete Susanne mit einem sanften Lächeln. Tatsächlich war Rudolf und nicht seine Frau – die ihn für einen jüngeren Mann verlassen hatte – bei einem Autounfall gestorben. Seine Frau lebte mit ihrem neuen Partner auf dem alten Bauernhof und schien glücklicher denn je zu sein. So konnte es Rudolf schließlich nicht lassen, immer wieder dort vorbeizuschauen und Türen zu schlagen, um damit seinen Unmut deutlich ausdrücken.
Harald, 31. Jänner 2025.