Jagdvariante III


Ein drittes Mal bin ich in der Wiedehopfinger Au unterwegs. Diesmal folge ich dem Verlauf des Gimpelbaches, der unregelmäßig mäandernd viel Abwechslung bietet. Zu meinem Erstaunen treffe ich auch hier an einem Hochstand wieder auf den Jäger, der von oben kommend auf der letzten Leitersprosse seinen Feldste­cher ins üppig wuchernde Springkraut an der Uferböschung wirft. Sofort fällt mir auf, dass er diesmal keine Joggingschuhe trägt, sondern Fischerstiefel. „Na“, rufe ich ihm aufmunternd zu. „Wo äsen die Böcke denn heute?“ „Keine Zeit!“, ruft der Jäger und schiebt mich schroff zur Seite. Weil er diesmal kein Schild mit einer Warnung vor der Treibjagd in den Untergrund rammt, vermute ich gleich, dass er seine Methode modifiziert hat. Während er bachaufwärts rennt, folge ich ihm in einigem Abstand. Schließlich stoppt er an einer Bachschlinge abrupt ab, reißt sich sein Gewehr von der Schulter, entsichert es und feuert mehrere Salven direkt in das Kehrwasser, das sich vor ihm befindet. „Donnerwetter!“, rufe ich ihm zu. „Dieses Mal mit Munition!“ Ich hole ihn ein und beobachte, wie er mit seinen ho­hen Stiefeln ins Wasser steigt. Als er sich zum dort üppig sprießenden Wasser­gras hinunterbeugt, erwarte ich, dass er die Pflanzen sogleich abzuweiden be­ginnt. Er pflügt aber bloß mit den Händen durchs Wasser und zieht schließlich zwei übel zugerichtete Fischkadaver heraus. „Brachsen“, klagt er mit weinerlicher Stimme. „Sie vertragen meine Kugeln nicht, wie’s scheint.“ Ich sehe ihm zu, wie er die traurigen Reste der beiden Fische in die Bachmitte wirft, wo die Strömung sie mitnimmt. Nachdenklich sieht mich der Jäger an. „Die Rehböcke“, erklärt er seufzend, „sind am Ende zu schlau für mich geworden und auch das Gras dort, wo sie weiden, schmeckt mir nicht mehr. Aus diesem Grund hätte ich das Wassergras probieren wollen, das dort, wo die Brachsen in den Bächen stehen, am saftigsten sei, wie es heißt.“ Er zieht weitere Fischreste aus dem Kehrwasser. „Aber jetzt“, ruft er angeekelt, „ist mir der Appetit vergangen.“ Das könne ich nachvollziehen, sage ich und füge hinzu, dass man die Brachsen vielleicht lieber den Fischern überlassen solle. Da hätte ich wohl recht, räumt der Jäger ein, ihn treibe aber eben dieser unstillbare Hunger nach dem Gras. Mein neuerliches Angebot, ihm zu helfen, schlägt er wieder aus. Schließlich tippe ich mir mit allen Fingern meiner Rechten an die Stirn und empfehle mich.

Ein paar Wochen später treffe ich den Jäger zufällig in der Stadt. Er ist jagdlich gekleidet wie immer, trägt aber elegante schwarze Halbschuhe und keine Waffe mehr. Er sähe so glücklich aus, spreche ich ihn an und schicke die Frage nach, ob er die Jagd denn etwa auf­gegeben hätte. Keineswegs, widerspricht der Jäger, er sei bloß nicht mehr im Freien tätig. Er arbeite jetzt fürs Finanzamt und jage in seinem Büro nach Steu­ersündern. Er müsse auch gleich los, es gebe viel zu tun. Ich gratuliere ihm auf­richtig und schüttle zum Abschied seine Hand. Und sein geliebtes Gras, setzt er als Letztes noch hinzu, beziehe er jetzt übers Internet. Dort gäbe es die aufre­gendsten Sorten.

Michael, 27. Juni 2025

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