Als einmal mein Nervenkostüm bedrohlich zu flattern begann, konsultierte ich einen Psychotherapeuten, der mir zu einem mehrwöchigen Aufenthalt in einem Baumhaus riet. Ich folgte seinem Rat und mietete mir in der Nähe von Ampflwang in einem abgeschiedenen Wäldchen eine entsprechende hölzerne Behausung.
Am Anfang ging alles gut. Mein Nervenkostüm begann sich zu stabilisieren. Ich lauschte dem Gesang der Waldvögel, sammelte Pilze und Kräuter und kochte mir überm offenen Feuer köstliche Eintöpfe.
Eines Morgens weckte mich in aller Herrgottsfrüh ein Motorengeräusch.
„Gut!“, dachte ich, während ich aus meiner Hängematte sprang. „Einmal ist keinmal! Soll der Förster meinetwegen einmal mit seinem Moped an meinem Baumhaus vorüberknattern! Er sieht mich und weiß, dass ich im Augenblick hier im Wald wohne. Es dient zu meinem Schutz.“
Es handelte sich um kein Moped, wie ich bald herausfand, sondern um ein Quad, und es blieb nicht dem einen Mal, sondern wiederholte sich zigmal an dem selben Morgen.
„Heda!“, rief ich schließlich genervt hinunter, als es mir reichte. „Was bist du denn für einer? Kannst du nicht woanders knattern?“
„Ich Jäger aus Kurpfalz“, sang der auf dem Quad und knatterte weiterhin winkend vor meinem Baumhaus auf und ab, „ich reite durch den grünen Wald, ich schieß das Wild daher, gleich wie es mir gefällt.“
„Noch einmal“, wiederholte ich geduldig, „aber kannst du das, was du machst, nicht woanders machen? Ich habe mir für teures Geld dieses Baumhaus gemietet, da ich extrem lärmempfindlich bin und mich erholen muss.“
„Juja juja“, sang der Quadfahrer und knatterte weiterhin auf und ab, „gar lustig ist die Jägerei, allhier auf grüner Haid, allhier auf grüner Haid.“
„Okay, okay“, rief ich nun schon ziemlich ungehalten. „Dann schieß endlich dein Wild daher, gleich wie es dir gefällt, und dann mach die Fliege in die Kurpfalz mit deinem knatternden Untersatz!“
Der Kerl auf dem Quad reagierte überhaupt nicht auf meine Aufforderung, sondern winkte mir weiterhin zu und knatterte unerbittlich auf und ab und sang dabei sein dämliches Lied: „Ich Jäger aus Kurpfalz, ich reite durch den grünen Wald. Ich schieß das Wild daher, gleich wie es mir gefällt.“
Mein Nervenkostüm flatterte heftiger als je zuvor.
„Fein, Sportskamerad!“, brüllte ich, während ich meine Winchester aus dem Baumhaus holte. „Wenn du nicht in zehn Sekunden einen Abgang gemacht hast, dann puste ich dich von deinem verdammten Quad!“
Er ignorierte mich und fuhr und sang weiter: „Juja juja, gar lustig ist die Jägerei allhier auf grüner Haid.“
Ohne weitere Warnung brachte ich meine Waffe in Anschlag und drückte ab. Ich erwischte den Jäger aus Kurpfalz voll und blies ihn rücklings von seinem Quad. Zu meinem maßlosen Erstaunen spritzte aber nicht ein Tropfen Blut. Vielmehr zerriss es meinen Quälgeist noch in der Luft in seine Einzelteile, die sich als ein Konglomerat aus Kabelsträngen, elektronischen Bausteinen und Verbindungelementen aus Metall und Kunststoff entpuppten.
„Ein Roboter!“, rief ich völlig geplättet. „Ich habe einen verdammten Roboter zur Strecke gebracht! Was hat das alles zu bedeuten?“
Ich hörte, wie das Knatten des führerlosen Quads allmählich in der Tiefe des Waldes verebbte. Einige Minuten stand ich wohl mit offenem Mund da, ehe sich im Gebüsch etwas regte. Eine weiße Fahne wurde zwischen den Zweigen herausgeschoben, nur wenige Augenblicke später folgten eine Hand und schließlich der Mann, dem die Hand gehörte.
Es war mein Psychotherapeut.
„Großartig, eindrucksvoll, stringent!“, rief er. „Ein voller Erfolg!“
„Was zum Henker soll das, Doktor?“, fragte ich. „Ich dachte schon, ich hätte einen Mord begangen!“
„Neunzig Prozent aller Baumhaustherapierten werden rückfällig“, erklärte der Doktor lächelnd, „weil sie nicht bereit sind, ihre heilige Ruhe mit Waffengewalt zu verteidigen. In Ihrem Fall wollte ich dies unbedingt verhindern. Ich denke, es ist mir gelungen.“
Er behielt recht. Nach jenem Vorfall lebte ich noch weitere acht Wochen völlig unbehelligt in meinem Baumhaus im Wald. Danach war ich ein völlig anderer Mensch, mit Nerven aus Stahl. Die Winchester behielt ich vorsichtshalber.
Michael, 4. Juli 2025