Die Jagd der Königin


Einst wurde ich aufs Anwesen der Königin nach Sandringham gerufen, weil im Schlossgarten der Buchsbaumzünsler so sehr wütete, dass Eile geboten war, oder wie Roderick, der Beauftragte der Queen es ausdrückte, dass ich mein Gesäß un­verzüglich lüften, die große Giftspritze einpacken und mich sputen sollte. Ich ge­horchte, wuchtete ein halbes Dutzend Kanister mit Thiacoprid auf meinen Pick-Up und brauste los.

Roderik erwartete mich am großen Tor, wo er mir den Weg versperrte und mich zu sich heranwinkte. Es sei undenkbar, dass ich mit meinem Pick-Up über den Rasen führe, rief er, er habe ein Golf-Cart für mich vorbereiten lassen. Er führte mich zu einem Geräteschuppen, vor dem zwei Lakaien mit wei­ßen Handschuhen den Lack meines neuen Fahrzeuges auf Hochglanz polierten. Roderick scheuchte sie zur Seite und erklärte mir, während wir eine Proberunde drehten, die Pedale und die Lenkung.

Ich hielt an meinem Pick-Up und lud den ersten Kanister und die große Spritze in den Golfwagen. Roderick zeigte mir auf einer Karte jene Stellen, an denen der Buchs vom Zünsler am stärksten in Mitlei­denschaft gezogen worden war und an denen ich mit der Vernichtung der lästigen Schmetterlinge beginnen sollte.

Ehe ich losfuhr, gab Roderick mir noch zu verste­hen, dass im Garten gerade eine Jagd stattfinde. Darauf könne aber im Augen­blick keine Rücksicht genommen werden. Ich solle eben vorsichtig sein und mich nicht zur Strecke bringen lassen. Wenn ich es überlebte, setzte er in vollem Ernst hinzu, würde sich die erweiterte Gefahrenlage zweifellos in meinem Honorar aus­wirken.

Mit einem mulmigen Gefühl fuhr ich los und hatte schon wenige Minuten später die erste Buchsbaumgruppe erreicht, der ich eine Behandlung angedeihen lassen wollte. Ich packte meine Spritze aus, schraubte den Kanister auf und machte mich an die Arbeit.

Als ich in der Nähe meiner Position Jagdhundgebell hörte und danach ein Geräusch, das ich gerade abgefeuerten Schrotflinten zu­ordnete, wuchs mein Unbehagen rapide. Ich spritzte, so schnell ich konnte und leerte den ersten Kanister in Rekordzeit.

Ich fuhr zurück und verstaute einen wei­teren Kanister im Golfmobil. Wieder fuhr ich hinaus auf die Rasenfläche in den Schlossgarten und steuerte die nächste Buchsgruppe an, die Roderick mir in der Karte markiert hatte. Sie lag unmittelbar an einem kleinen Wäldchen.

Als ich ge­rade meine Spritze aufzog, pfiff mir plötzlich eine Kugel um die Ohren, die so nah an mir vorbeiflog, dass mir der kalte Schweiß ausbrach. Als ich in die Richtung blickte, in die der Schuss gegangen war, sah ich, dass ein Fasan angeschossen worden war, der aufgeregte Laute von sich gab, die zuerst wie gögök klangen und gleich darauf in ein verzweifeltes kuttuk-kuttuk übergingen. Von der Seite schoss plötzlich ein Labrador heran, apportierte das Tier und legte es zu Füßen seiner Herrin ab, die zuvor einen energischen Pfiff ausgestoßen hatte.

Obwohl ich ihr noch nie zuvor begegnet war, wusste ich auf Anhieb, dass es sich um die Königin persönlich handelte. Sie packte den Vogel und drehte ihm den Hals um. Zu mei­nem Erstaunen ließ sie aber nicht von dem Fasan ab, als dieser sein Leben ausge­haucht hatte, sondern drehte immer weiter, bis sie ihm den Kopf vom Körper ab­gedreht hatte.

Sie warf den Kopf ins Gebüsch und bemerkte dann endlich, dass ich sie entsetzt anstarrte. Sie kam ein paar Schritte auf mich zu und fragte mich, ob etwas nicht in Ordnung sei.

Nein, nein, beeilte ich mich zu sagen, ich hätte einen Auftrag als Schädlingsbekämpfer und sei es einfach nicht gewöhnt, dass in meiner Gegenwart jemand einem Fasan den Kopf abdrehte.

Sie hätte den Vogel nur erlöst, sagte die Königin, das sei ihr gutes Recht. Auf diesem Anwesen hätte nur sie das Sagen.

Ich starrte sie weiterhin entgeistert an.

Jedenfalls solle ich nun aufhören, Luftschlösser zu bauen, herrschte sie mich an, und mich wieder der Vernichtung des Zünslers widmen. Widrigenfalls könne sie auch mich erlösen und mich von meinem Auftrag abberufen.

In diesem Augenblick begriff ich, wa­rum niemand es wagte, der Königin die Abdankung ans Herz zu legen. Vor lauter Schreck salutierte ich und tauchte sofort wieder die Spritze in den Kanister und applizierte in nackter Panik Thiacoprid auf den Buchs.

Ich arbeitete so konzen­triert, dass ich gar nicht mitbekam, wie die Königin sich entfernte. Weiterer Be­schuss mit Kugeln, die mein Leben gefährdeten, blieb zum Glück aus. So schnell es ging, brachte ich meinen Auftrag zu Ende.

Es gab noch zwei weitere Buchs­gruppen, die ich mit meinem Wundermittel behandelte. Von den sechs Kanis­tern, die ich mitgebracht hatte, blieb nur einer übrig.

Als ich alle auf der Karte gekennzeichneten Stellen aufgesucht hatte, meldete ich mich sofort bei Roderick, gab ihm das Golf-Cart zurück, schnappte meinen Scheck und suchte das Weite.

Das Geld reichte gerade für eine Umschulung. Seitdem bekämpfe ich Bettwanzen in den bescheidenen Behausungen der Arbeiterklasse.

Michael, 11. Juli 2025

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