Ich heiße Konstanze und bin eine erfahrene Frau, was das andere Geschlecht betrifft. Ich hatte zahlreiche Liebhaber: Machos, Egoisten, Narzisten, Psychopathen, Muttersöhnchen, Latin Lover, Bettnässer, Hochleistungsrammler und Frauenversteher.
Mein aktueller Lebensgefährte Oskar ist ein Mann von glasklaren Prinzipien.
„Es gibt Jäger und Sammler“, sagt er. „Jäger töten Tiere, Sammler sacken ein, was die Natur ihnen bietet.“
„Ich bin ein Sammler“, betont mein Oskar, „also ein Einsacker.“
Oskar und ich wohnen nicht zusammen.
„Warum“, frage ich ihn eines Tages, nachdem ich aus seinem Keller ans Tageslicht zurückgekehrt bin, „warum liegt in deiner Tiefkühltruhe ein toter Wildhase, wenn du ein Sammler bist?“
„Das ist kein Wildhase“, belehrt mich Oskar, „sondern ein falscher Hase, ein vegetarischer Hase, der aus Erbsenproteinen modelliert und mit Kunstfell überzogen wurde, damit er wie ein echter Hase wirkt.“
„Wozu soll das denn bitte gut sein?“, frage ich Oskar.
„Ganz einfach“, erklärt Oskar. „Ich esse einfach gern Hasen, und weil ich ja, seit ich dich kenne, vegetarisch bin, bin ich umgestiegen auf falsche Hasen.“
„Du bist süß, weil du meinetwegen deine Ernährung umgestellt hast!“, sage ich zu Oskar und pappe ihm einen sehr feuchten Kuss mitten auf die Stirn.
„Ich weiß“, sagt mein Lebensgefährte und wischt meine Spucke weg. „Ich tue es aber gern für dich! Du könntest aber auch etwas für mich tun und mich im Gegenzug in den Wald begleiten.“
„Es ist Oktober“, wende ich ein. „Im Wald herrscht Jagdsaison. Es wird geschossen, als gäbe es kein Morgen. Was suchen wir denn ausgerechnet zu dieser Zeit im Wald?“
„Wir brauchen ein paar Sachen“, sagt Oskar knapp.
„Was denn für Sachen?“, frage ich.
„Kräuter“, sagt Oskar, „und Preiselbeeren. Unter anderem.“
„Das klingt spannend!“, rufe ich. „Ich bin dabei!“
Wir schlüpfen in Overalls mit Camouflage-Muster.
„Wir müssen uns tarnen“, erklärt Oskar. „Es muss nicht jeder sehen, was wir sammeln.“
Wir fahren los und parken Oskars Pick-Up am Waldrand.
„Oh je!“, sage ich, nachdem wir ausgestiegen sind. „Ich sehe ein Schild, auf dem ‚Vorsicht Treibjagd!‘ steht! Sollen wir nicht lieber in einen anderen Wald fahren?“
„Auf gar keinen Fall!“, wispert mein Lebensgefährte. „Wo getrieben und geschossen wird, wachsen Kräuter und Preiselbeeren am besten, weil Jäger, Treiber und Hunde das Dickicht auf natürliche Weise ausholzen.“
„Das habe ich noch nie gehört“, sage ich zu Oskar, „aber ich vertraue dir.“
Er nickt und zieht mich in ein Gebüsch hinein.
„Hörst du die Schüsse?“ fragt mein Lebensgefährte.
Ich nicke.
„Wir warten hier, bis alles vorbei ist“, sagt Oskar, „und sammeln dann ein, was wir brauchen.“
Wir warten eine Dreiviertel Stunde, bis endlich nicht mehr geschossen wird. Nach und nach kommen aus allen Richtungen Treiber und Jäger zusammen und legen das erlegte Wild auf einer Wiese vor uns zur Strecke. Bei den meisten der getöteten Tiere handelt es sich um Hasen, es sind aber auch Fasane und Rebhühner darunter. Die Treiber und Jäger nehmen mit ihren Rücken zu uns Aufstellung. Vor ihrer Formation hat sich ein Kamerad mit einem Horn postiert, der sogleich die Soloparts aus Mozarts viertem Hornkonzert zu intonieren beginnt.
„Ich schätze, sie sind nun für eine Weile abgelenkt, Konstanze!“, raunt Oskar mir zu. „Das ist die Gelegenheit, auf die wir gewartet haben! Du schlägst dich nach links auf die Lichtung und raffst dort alles an Kräutern und Preiselbeeren an dich, dessen du habhaft werden kannst. Ich wende mich nach rechts und besorge uns noch ein paar weitere nützliche Sachen. Wir treffen uns in einer halben Stunde bei meinem Pick-Up.“
Ich robbe nach links weg und rupfe in abartiger Geschwindigkeit so viele Preiselbeeren und Kräuter ab, wie ich nur finden kann.
Als ich eine halbe Stunde später mit vom Beerensaft roten Fingern an Oskars Pick-Up eintreffe, ist mein Lebensgefährte bereits da und klappt gerade die hintere Ladewand hoch.
„Bei mir ist alles paletti!“, rufe ich. „Ich habe genug Preiselbeeren und Kräuter für sieben strenge Winter gesammelt. Was hast du gefunden?“
Stolz weist Oskar auf die volle Ladefläche.
„Aber das sind ja lauter Wildhasen!“, rufe ich entsetzt. „Ich habe gedacht, du wärst ein Sammler!“
„Das bin ich doch auch!“, grinst Oskar. „Ich habe die Hasen von der Strecke gesammelt und eingesackt, während die Jäger ergriffen den Hornmotiven gelauscht haben.“
„Dann ist der Hase in deiner Tiefkühltruhe wohl auch echt?“
„Ja, das war eine kleine Notlüge“, sagt Oskar. „Das gebe ich zu.“
Ich bin so eingeschnappt, dass ich während der gesamten Rückfahrt kein Wort mit meinem Lebensgefährten wechsle. In seinem Heim schließe ich mich sofort auf seiner Toilette ein.
Etwa zwei Stunden später dringt von außen ein verführerischer Duft an diesen Ort, an dem normalerweise eher üble Gerüche dominieren. Ich kann nicht anders, öffne die Tür und trete auf den Gang hinaus.
In der Küche wartet Oskar schon auf mich und hält mir eine Gabel hin, auf die er etwas aufgespießt hat.
„Was ist das?“, frage ich.
„Probier selbst!“, sagt mein Lebensgefährte und schiebt mir die Gabel in den Mund. „Geschmorter Wildhase. Unwiderstehlich.“
Er hat recht. Ich sinke in seinem Esszimmer auf einen Stuhl und tue mich in der nächsten Stunde in Oskars Gesellschaft an Hasenbraten mit Kräutersauce und Preiselbeeren gütlich, bis ich fast platze.
„Was sagst du jetzt?“, fragt mich Oskar, nachdem wir alles aufgegessen haben.
„Weißt du was?“, antworte ich. „Ich glaube, ich bin keine Vegetarierin mehr, ich bin jetzt auch eine Sammlerin.“
Michael,5. September 2025