Der letzte Tisch

Georg hatte schon sieben Monate zuvor im noblen Innenstadtlokal angerufen, um einen Tisch zu reservieren. „Hean’s, woin’s jetzt an Tisch oder net?“, knurrte der Ober, als Georg vorsichtig nach einem Platz mit Ausblick fragte. Die Begleitung, für die er den Tisch reserviert hatte, wechselte in dieser Zeit gleich zweimal – was Georg allerdings weniger aufregte als der Gedanke, ob das Rehragout wohl noch am Menü stünde.

Endlich, im September, war es soweit. Strahlender Abendhimmel, Punkt 19 Uhr, Georg stand vor dem Lokal – geschniegelt, geputzt und voller Vorfreude. Der Tisch allerdings erwies sich tatsächlich als strategisch unklug platziert: Nur drei Schritte von den Toiletten entfernt. Das dezente Naserümpfen seiner Begleitung ignorierte Georg tapfer, obwohl er innerlich vollstes Verständnis hatte. Die ersten Runden liefen glatt: Getränke, Gedeck, Vorspeisen. Doch als Georg zum Hauptgang ein Wildgericht bestellen wollte, schüttelte der Ober bedauernd den Kopf: „Jaga hamma kan da.“

Georg entschuldigte sich galant, erhob sich – und war für eine geschlagene halbe Stunde verschwunden. Als er zurückkam, hatte er einen stattlichen Rehbock über der Schulter hängen. „Frisch aus da Leopoldstadt“, erklärte er dem verdutzten Kellner. „Jaga braucht’s jetzt kan mehr.“ Der Küchenchef, ein alter Haudegen, ließ sich nicht zweimal bitten. Er zerlegte den Rehbock fachgerecht, und ehe jemand „Wildragout“ sagen konnte, brandete Applaus im Lokal auf. Georg bekam nicht nur einen besseren Tisch, sondern auch den heimlichen Status des Abends: Jagdheld im Anzug.

Seine Begleitung war nachhaltig beeindruckt, Georg sonnte sich im Ruhm – und verschwieg dezent, dass er das Tier nur versehentlich mit seinem Landrover touchiert hatte, als er kurz die vergessene Kreditkarte samt Handy von zu Hause holen musste.

Harald, 19. September 2025.


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