Der Depp von nebenan

„Der Sitznachbar ist doch immer ein Depp“, wusste Burghart schon am allerersten Schultag. Damals fragte ihn der Banknachbar mit vollem Ernst: „Bist du eigentlich der Sohn vom Metzger?“ Burghart, leicht verstört, dachte nur: Was zum Teufel soll das jetzt heißen?

Metzger wurde er jedenfalls keiner – gefühlt auch nicht der Sohn von einem. Stattdessen vergaß er seine gesamte Schulzeit und verdingte sich später als freier Journalist für eine große, deutschlandweite Tageszeitung. Und genau dieser Burghart bekam ausgerechnet die Ehre, über das Münchner Oktoberfest zu berichten – im Zelt der Reichen und Berühmten, also dort, wo die Champagnerkorken lauter knallen als die Cover-Band singen konnte.

„Was macht so ein Schreiberling wie du hier?“, stichelte ein mittelmäßig prominenter Münchner Unternehmer, dessen Name so klang wie ein bayrisches Hauptgericht. Burghart dachte diesmal nicht nur, sondern war sich sicher und artikulierte es ungewollt laut: „Der Sitznachbar ist immer ein Depp!“

Es kam, wie es kommen musste: Verbale Scharmützel, Augenrollen, auf den Tisch hauen – und dann kippte Burghart dem Deppen einfach sein Bier über den Kopf. Die Folge war eine Jagd quer durchs Bierzelt. Security-Männer rannten, Kellnerinnen wedelten wild mit Tabletts, und der Unternehmer – nun riechend wie eine Brauereibelegschaft nach einem Betriebsausflug – raste wie eine aufgebrachte Tarantel hinterher.

„Nicht auf die Tische steigen!“, rief eine Kellnerin noch – Burghart war da schon beim dreizehnten Biertisch angekommen. Dort bekam er plötzlich Rückendeckung: „Endlich einer, der’s den Großkopferten zeigt!“

Und wie immer beim Oktoberfest war der Weg von einer kleinen Meinungsverschiedenheit bis zur zünftigen Massenrauferei kürzer als der Weg von der Bar zur Toilette. Zehn Minuten später war die auch Musik verstummt, das Chaos perfekt – und dann kam sie: Die Wirtin. Wenn die Wiesn-Wirtin sprach, wurde sogar Burghart kleinlaut.

„So! Schluss jetzt! Jeder setzt sich hin und trinkt eine Maß MIT dem Sitznachbarn! Verstanden?“

Burghart, die selbsternannte Revolutionsarmee und die lokale Prominenz saßen brav nebeneinander und prosteten sich zu. Die Musik legte sofort wieder los mit „Skandal im…“

Nach einigem Diskutieren nahm es selbst der Unternehmer mit Humor und gab etwas später klein bei: Der Sitznachbar ist eben doch immer ein Depp.

Kleiner Nachtrag: Burghart wurde später Pressesprecher genau dieses Unternehmers. Manchmal hat das Schicksal einfach Humor – auch in bayerischer Ausführung.

Harald, 26. September 2025.

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