Der Alpen-Bitcoin-Bock

Jetzt war es schon wieder was passiert: Eine Gams im dunklen Winterfell – tot. Seit der neue Bezirksjäger in den Tiroler Bergen unterwegs war, fühlten sich die Gämse so sicher wie ein Schneemann im Frühjahr. Also versammelten sie sich an einem Freitagabend zu einer Krisensitzung.

„Der Neue hat uns schon sauber dezimiert!“, eröffnete der ranghöchste Bock mit ernst-wichtiger Miene.

„Dem gehört ein Denkzettel verpasst!“, pflichtete der zweitgereihte Bock bei – jener, der sich, wie bei Gämsen üblich, ausschließlich vom ranghöchsten Bock ohne Kampf einschüchtern ließ und sich in das sprichwörtliche Bockshorn jagen ließ. 

„Ja, ein Denkzettel!“, riefen nun alle im Chor und stampften mit den Hufen, sodass ein dumpfer Klang bis ins Tal reichte.

In der darauffolgenden Woche machte sich Hermann, der neue Bezirksjäger, wieder auf zur Jagd. Schon zigmal war er heuer aufgestiegen, und dieses Mal hatte er es auf einen besonders prächtigen Bock abgesehen. Der Ranghöchste zeigte sich auch tatsächlich kurz – gerade lang genug, dass Hermann trotz der dämmernden Dunkelheit einen Schuss abfeuern konnte.

Der Bock lag am Boden, und Hermann schulterte stolz seine Beute. Der Rückweg allerdings wirkte plötzlich… seltsam. Er kontrollierte noch einmal die Wegweiser: Alles korrekt. Und doch fand er sich unerwartet in einer steilen, völlig unbekannten Passage wieder.

„Kruzefix, was is‘n jetzt los?“, brummte er – da traf ihn ein heftiger Schlag zwischen die Schulterblätter.

„Wos? Spinn i jetzt? Des Viech is doch tot!“, polterte er. Doch schon folgte der nächste Stoß von hinten.

Hermann taumelte zu Boden, und im nächsten Moment standen plötzlich mehrere Gämse um ihn herum, die ihn mit ihren kräftigen Hinterläufen mit purer Entschlossenheit unsanft bearbeiteten.Er flehte um Gnade.

Der ranghöchste Bock – der dank seiner schusssicheren Weste aus massiver Tannenholzrinde völlig unversehrt blieb – stellte sich vor Hermann hin und verkündete die Bedingungen:

„Ab sofort schießt du nur noch Hirsche. Keine Gämse mehr, kapiert?“

Die versammelten Gämse johlten begeistert. (Hirsche waren in Gämsenkreisen etwa so beliebt wie deutsche Touristen in einer alten österreichischen vierteiligen Filmreihe).

„Und jeden Freitag bringst du uns im Winter getrocknete Kräuter, Gräser und die Knospen junger Tannen. Deal?“

Hermann nickte so schnell, dass ihm beinahe die für Jäger typische Kopfbekleidung herunterflog. Die Gämse zeigten sich zufrieden – so zufrieden, dass sie ihn sogar auf einer Gams ins Tal reiten ließen. Ein ungewöhnlicher Anblick, aber für Hermann erstaunlich bequem.

Er hielt in weiterer Folge sein Versprechen. Im nächsten Jahr hatte er bereits drei kapitale Hirsche erlegt und die Gämse prächtig über den Winter gebracht. Beim Abstieg warf er noch einmal einen Blick zurück und entdeckte den ranghöchsten Bock, der ihm – so schien es – zufrieden zuzwinkerte. Ein warmes Gefühl von Freundschaft überkam ihn.

Zuhause angekommen, machte er sich einen Tee und checkte gedankenverloren sein Bitcoin-Konto. Doch was er dort sah, verschlug ihm die Sprache:

Bit-Gams-1 hatte ihm ein Vermögen von einer Million Euro überwiesen.

Harald, 14. November 2025.

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