„Zeigen Sie mir Ihren Pass!“, forderte der Prüfer den Prüfling auf.
„Bitteschön!“, erwiderte der Angesprochene und schob das Dokument über die Tischplatte.
Der Prüfer schlug es auf.
„Sie sind Ausländer, wie? Und Ihr Pass riecht nach Schwefel! Unerhört!“
„Was ist unerhört?“, fragte der Prüfling. „Dass ich Ausländer bin oder dass mein Ausweis diesen Geruch aussendet?“
„Werden Sie nicht unverschämt!“, rief der Prüfer. „Sonst statuiere ich ein Exempel und lass ich Sie auf einem Bein durch den Saal hüpfen!“
„Nur zu!“, sagte der Prüfling. „Ich besitze auch ein Sportdiplom. Kleiner Tipp: Auf dem linken Bein hüpfe ich um einen Tick schneller.“
„Hüpfen Sie!“, schrie der Prüfer mit hochrotem Gesicht. „Sofort! Auf dem rechten! Eine volle Runde durch den Saal!“
„Wie Sie wünschen“, antwortete der Prüfling ungerührt und hüpfte los. „Geben Sie bitte in der Zwischenzeit gut acht auf meinen Pass.“
„Ich gebe hier die Anweisungen!“, bellte der Prüfer. „Los, los, hüpfen Sie weiter!“
„Ich hüpfe ja!“, rief der Prüfling schon auf der Zielgeraden. „Und es macht sogar Spaß!“
„Es soll keinen Spaß machen!“, schrie der Prüfer. „Sie sollen ins Schwitzen geraten! Von der Stirne heiß rinnen muss der Schweiß! Schwitzen Sie schon?“
„Ich bedauere, nein“, erwiderte der Prüfling. „Wie schon erwähnt: Ich besitze ein Sportdiplom.“
„Dann hüpfen Sie noch eine Runde“, rief der Prüfer. „Wieder auf dem rechten Bein, nein, diesmal auf dem linken, nein, nein, machen Sie etwas anderes: Jagen und fangen Sie ein halbes Dutzend Fliegen hier im Saal und legen Sie sie mir zu Füßen!“
„Das mache ich gern“, gab der Prüfling zurück. „Wie geht es eigentlich meinem Pass?“
„Jagen Sie jetzt die Fliegen“, rief der Prüfer ungehalten, „wenn Sie nicht augenblicklich durchfallen wollen!“
„Ich jag ja schon“, sagte der Prüfling und stieg auf eines der Pulte. „Ich fange die Fliegen am besten direkt vom Plafond.“
„Jagen Sie, wo Sie wollen!“, rief der Prüfer. „Und bringen Sie mir in zwei Minuten alle sechs Fliegen!“
„Ich bringe Sie Ihnen in zwei Sekunden!“, erwiderte der Prüfling, ließ blitzschnell seine Zunge, die länger war als die eines Chamäleons, an die Decke schnellen und fing alle Fliegen, die dort saßen, mit einem Schlag ein.
„Man muss sie gar nicht jagen.“
Er stieg wieder vom Pult, trat vor den Prüfer und spuckte ihm die Fliegen vor die Füße.
„Durchgefallen!“, schrie der Prüfer vor Zorn. „Es sind sieben Fliegen. Ich habe bloß sechs verlangt!“
„Soll ich Ihnen etwas sagen?“, gab der Prüfling zurück. „Sie können mich gar nicht durchfallen lassen. Nicht einmal prüfen dürfen Sie mich. Ich bin ein Roboter!“
Zum Beweis schraubte er sein rechtes Bein ab und hielt es dem Prüfer hin.
„Es ist das langsamere!“
„Wer zum Teufel hat Sie geschickt?“, murmelte der Prüfer völlig fassungslos. „Wozu sind Sie hier?“
„Sie sind auf der richtigen Spur“, sagte der Roboter. „Mich schickt der Herr der Fliegen. Ich soll Ihnen das Handwerk legen.“
Der Prüfer fasste sich an die Kehle und sank röchelnd zu Boden.
„Auftrag erfüllt“, sagte der Roboter zufrieden, schraubte sein rechtes Bein wieder an, nahm seinen Pass vom Tisch und verspeiste ihn.
„Den brauche ich ja jetzt nicht mehr.“
Er verließ ohne Eile unauffällig den Saal.
Michael, 28. November 2025
Literarisches Jagdgeflüster 