Die Bürgermeisterin hatte die Silvesterknallerei abgeschafft – zumindest auf dem Papier.
„Gib mir vier Packungen von den großen Raketen, fünf Teufelsbatterien und 50 Satansknaller“, verkündete Norbert fast ehrfürchtig vor dem Feuerwerkscontainer. Dreimal musste er zum Auto zurück, bis alles verstaut war. Ein logistischer Kraftakt, den man nur mit ausreichend innerer Überzeugung bewältigt, was beim Müll-Hinaustragen nicht der Fall war.
Zuhause angekommen, betrachtete ihn seine Frau mit jenem Blick, der seit Jahren das Vorspiel zu immer demselben Dialog war.
„Musst du immer so übertreiben, Norbert?!“
„Das ist der Silvesterbrauch. Und außerdem: Ich mach das wegen der Kinder!“
Die Kinder waren mittlerweile über zwanzig. Sie kamen zwar noch zu Silvester – teils mit Partner:innen – waren aber sicher eher wegen des Fondues als wegen Norberts Pyrotechnik da.
„Ich muss jetzt los“, sagte Norbert und hüpfte bereits grün gewandet samt Gewehr aus dem Haus. „Hasensilvester mit den Jagdfreunden. Gehört dazu.“
„Mir tut heute noch der Zahn weh von dem Schrot im Hasenbraten“, jammerte seine Gattin routiniert hinterher.
Treffpunkt war wie immer der Moorhof.
„Bring ma no a Holbe!“ fiel an diesem Nachmittag öfter als das Wort „Schonzeit“. Um Punkt 15 Uhr verließen die Jägerinnen – überraschend standfest – und die Jäger – weniger – das Wirtshaus und zogen Richtung Wald.
„Vor der Schonzeit, das muss ausgenutzt werden!“, rief Norbert und starrte dabei mit seinem befreundeten Jagdkollegen auffällig lange auf den Hintern der neuen weiblichen Verstärkung.
„Süß“, kommentierte er hörbar.
Die Gruppen teilten sich auf, und Norbert zog – aus seiner Sicht – das große Los: Pirschgang mit der Jungjägerin Sandra. Kaum im Wald, tauchten auch schon die ersten Hasen auf.
Sandra zögerte noch. Norbert ballerte sofort los. Die Hasen blieben unverletzt. Ein paar Raben auf der Stromleitung hingegen verloren angesichts der knapp vorbeifliegenden Schrotkugeln schlagartig ihre innere Ruhe.
Beim nächsten Versuch meinte Norbert konsequent: „Ich halt mich besser an.“
Er griff Sandra an den Hintern und versuchte einhändig zu schießen. Die Hasen entkamen erneut. Die Bäume nicht.
„Ich glaub, es is besser, ich halt dich und du schießt“, hatte Norbert dann eine – seiner Meinung nach – brillante Idee.
Sandra war einverstanden. Ihr erster Schuss: knapp daneben. Norbert küsste ihren Nacken. Das störte sie nicht. Er führte ihre Hand weiter nach unten – rein aus Stabilitätsgründen, versteht sich. Selbst die offene Hose nahm Sandra kaum noch wahr. Sie schoss fünf Hasen. Einhändig.
Norbert war begeistert. „Ein Naturtalent!“
Nach gut einer Stunde trafen sich alle wieder beim Moorhof. Norbert: Leicht wankend, Lederhose schlecht justiert, Lippenstift im Gesicht, sechs Hasen geschultert – einer davon von Sandra im emotionalen Höhepunkt erlegt.
„Da schauts, gell!“
„Nicht schlecht, Sandra“, murmelte ein Jagdfreund. Jeder wusste, dass Norbert in diesem Zustand maximal einen Gartenzwerg und sicher keinen Hasen getroffen hätte.
Ein paar Stamperl Vogelbeer später war die Jagdsaison offiziell beendet. Jegliche Hasen hatten zumindest am Beginn des neuen Jahres Schonzeit.
Zuhause wischte Norbert den Lippenstift halbherzig weg.
„Zwei Hasen hängen in der Garage ab“, informierte er seine Frau.
„Wie schaust du denn aus?! Und dass ihr immer so saufen müsst bei eurer Silvesterjagd!“
Das Fondue verlief trotzdem harmonisch. Mit jedem Bier wurde Norbert noch geselliger. Kurz vor zehn war er schon gar nicht mehr standsicher, baute das Feuerwerk aber mit Hilfe eines Sohnes auf.
„Ist es bei euch immer so lustig?“, fragte der Freund seines Sohnes. „Ja, schon“, meinte sein Sohn Günther skeptisch.
Mitternacht. Champagner. Neujahr.
Norbert zündete die ersten Batterien. Es knallte, als wäre alles illegal importiert worden. Die Begeisterung wuchs proportional zum Lärm.
„Mein Hund hält das nicht aus! Und die armen Wildtiere!“, schrie ein Nachbar.
„Die Hasen hamma eh alle g’schossen“, rief Norbert ruhig zurück. „Und wegen dem Hund brauchen’s sich net anscheißen.“
Beim Zurückgehen stolperte Norbert über eine Raketenflasche. Künstlerpech. Der Hund des Nachbarn blieb zumindest verschont. Das Wohnzimmerfenster der Bürgermeisterin nicht.
Kurz nach halb eins stand sie samt Gatten vor der Tür.
„Wollens a Glaserl Champagner?“ fragte Norbert freundlich.
„Das müssen’s bezahlen“, herrschte der Ehemann.
„Was kost’ denn des deppate Fensta?“
„3.000 Euro!“
Norbert holte ein Kuvert.
„Das sind ja 6.000!“
„Jo eh“, grinste er und freute er sich über seine Genialität. „Dann kann i’s nächstes Jahr wieder einschießen.“
„Bei euch ist es echt toll“, meinte Katrin, die Freundin seines zweiten Sohns, begeistert. Norberts Frau lächelte müde.
Als Katrin später – inspiriert von Norberts Jagdgeschichten – beschloss, selbst Jägerin zu werden, legte sein Sohn sofort ein Veto ein. Er kannte seinen Vater. Und seine Torschlusspanik zu Silvester.
Harald, 26. Dezember 2025.