Nach Erlangung seines Abschlussdiploms an der Tubaschule Cuxhafen begab sich der Tubist Trötel, wie es sich für frisch ausgebildete Blasmusiker gehört, auf Wanderschaft. Im italienischen Poggibonsi machte er die Bekanntschaft des leicht unterbelichteten Trianglisten Tunkerbell, der, obwohl er kein Abschlussdiplom einer Triangelschule vorweisen konnte, schon seit Jahren unterwegs war und der Trötel von da an hartnäckig folgte wie eine Zecke.
„Musizieren wir doch zusammen“, sagte Tunkerbell. „Tuba und Triangel passen doch zusammen wie Pudding und Radieschen.“
„Meinetwegen“, murmelte Trötel, der einerseits eigentlich seine Ruhe haben wollte, andererseits aber Konflikte scheute, „reisen wir durch die Lande und spielen wir zusammen!“
Sie fuhren per Anhalter nach Süditalien, wo sie sich, weil es auf dem Landweg nicht mehr weiterging, kurzerhand auf einem Fischkutter nach Ägypten einschifften. Der Kapitän des Kutters bat sie während der Überfahrt um eine Kostprobe ihrer Kunst. Trötel und Tunkerbell kamen dem Ansinnen gern nach.
Der Kapitän, der fassungslos war angesichts der dargebotenen Kakophonie, blieb aus einem nicht nachvollziehbaren Grund höflich und sagte, dass es nur einen Ort gäbe, der einer solchen Musik gerecht würde, nämlich das Innere der großen Cheops-Pyramide in Gizeh.
Vom Hafen in Alexandria schlugen sie sich wiederum per Anhalter nach Gizeh durch. In einem der Souvenirshops besorgten sie sich Stirnlampen und warteten den Einbruch der Dunkelheit ab. Durch einen Entlüftungsschacht zwängten sie sich ins Innere der Pyramide und arbeiteten sich innerhalb kürzester Zeit in die leere Grabkammer des Pharaos Cheops vor, wo sie sogleich zu musizieren anfingen. Schon nach wenigen Minuten fing eine der Seitenwände zu bröckeln an, bis ein mannsgroßes Loch entstand, aus dem sich eine riesige Mumie erhob.
„Ich glaube, es gefällt ihr, was wir spielen“, sagte der Trianglist Tunkerbell, „spielen wir doch einfach noch eine Weile weiter.“
„Es gefällt mir überhaupt nicht, was ihr spielt“, sagte die Mumie, „Es klingt furchtbar! Nach mehreren tausend Jahren behaglichster Ruhe muss ich, Pharao Cheops, mich von zwei so abscheulichen Kakophonikern wie euch wecken lassen!“
„Ich habe ein Diplom!“, rief der Tubist Trötel.
„Ich habe Talent!“, rief der Trianglist Tunkerbell.
„Das ist mir herzlich egal“, erwiderte der Pharao Cheops und schnappte sich Tuba und Triangel. „Ich muss und ich werde euch zum Schweigen bringen!“
Mit einer für eine Mumie erstaunlichen Geschwindigkeit verschwand er in einem dunklen Seitengang.
„Wir dürfen ihn nicht entkommen lassen!“, rief Trötel. „Ich will meine Tuba zurück, sie ist mein Ein und Alles!“
„Wir holen sie zurück!“, gelobte Tunkerbell, „genau so wie meinen Triangel! Und wenn wir die verdammte Mumie durch die ganze Pyramide jagen!“
Sie nahmen augenblicklich die Verfolgung von Cheops auf, der anfangs über den Vorteil verfügte, dass er dich mehrere tausend Jahre lang mit dem Verlauf der Gänge in dem Bauwerk vertraut machen hatte können. Allmählich stimmten sich aber Tubist und Trianglist besser aufeinander ab und schafften es, nach langer zäher Jagd, die Mumie in die Zange zu nehmen und in einen Gang zu drängen, der in einer Art Sackgasse endete.
„Haben wir dich, stinkende, diebische Mumie!“, rief Tunkerbell. „Ich rate dir, dass du unsere Instrumente auf der Stelle herausgibst! Andernfalls werden wir deine Bandagen abwickeln, so dass du an Ende erkennst, welch elendes Häufchen toter Materie von dir übrig bleibt!“
„Also gut“, lenkte die Mumie ein. „Ich werde euch eure Sachen jetzt zurückgeben.“
Cheops warf Tuba und Triangel in die Luft. Der Tubist Trötel fing den Triangel, der Trianglist Tunkerbell die Tuba. Letzter blies vor Schreck in das Instrument hinein und entlockte ihm völlig ohne Absicht einen Wohlklang, wie ihn die Welt bis zu jenem Zeitpunkt noch nie vernommen hatte.
„Wow, das klingt richtig gut!“, zollte der Tubist Trötel Anerkennung, „weit besser als alles, was ich jemals an Tönen auf der Tuba hervorgebracht habe! Soll ich im Gegenzug den Triangel schlagen?“
Der Trianglist Tunkerbell nickte. Trötel begann dem unscheinbaren Instrument die raffiniertesten Rhythmen zu entlocken, woraufhin der Trianglist beherzt weiter die Tuba blies.
„So lobe ich es mir“, sagte die Mumie. „Tuba und Triangel passen eben zusammen wie Pudding und Radieschen.“
„Der Kapitän des Fischkutters hatte recht“, sagte Tunkerbell in einer Spielpause. „In der großen Cheops-Pyramide haben wir endlich unser Publikum gefunden, auch wenn es bloß aus einer einzigen Mumie besteht.“
„Warum bleibt ihr nicht einfach hier?“, fragte der Pharao Cheops. „Als mein persönliches Orchester?“
„Ein ausgezeichnete Idee“, sagte der Tubist Trötel und schaltete seine Stirnlampe aus, da er sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt hatte. Der Trinanglist Tunkerbell tat es ihm nach.
So kam es, dass Trötel und Tunkerbell in der Pyramide blieben und für den Pharao spielten und ihn gelegentlich zum Spaß durch die Gänge jagten und ihn wieder einfingen.
Nach und nach sprach es sich auch in den anderen Pyramiden herum, was bei Cheops los war, und allmählich kamen die anderen Mumien zu Besuch und kamen immer häufiger, und am Ende gestalteten Trötel und Tunkerbell regelmäßige Grabkammermusikabende, an denen sich die Zuhörer königlich delektierten.
Michael, 26. Dezember 2025
Michael, ich lese gerade ein Buch über die griechischen Mythen. Da passt Deine heutige Geschichte bestens dazu. LG P
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