Gastbeitrag: Bierschaumhaube


Ein trosttext
in brocken gedacht
zum in einsamen, kalten winternächten in den warmen kakao eintunken
oder auch als Hors d’œuvre vorm leichenschmaus

Agitation:
Hast du nicht gerade eine stirn gerunzelt, ein augenecktränchen weggewischt, heimlich,
deine enttäuschung hinterm bierschaum versteckt, dein eigenes seufzen dich erschreckt, aus hefetrüben gedanken geweckt, morgens um zwei, an einer bar?

An alle vergrämten, vergrantelten, herumsitzengelassenen, zuhauselieberbleiber, haustürenzusperrer und nicht mehr aufmacher, weil doch jedes klingeln, klopfen, jedes pochen nicht von freunden oder nachbarn ist, sein kann, sondern nur von
gerichtsvollziehern, anwälten, religionsabonnementverklopfern und teppichsaugstaubervertretern, die doch alles wollen von einem, vom geldbeutel bis zur seele – oder adoptiert werden,
Du sollst spenden aber nie, niemals wollen sie spenden, keine leber und schon gar keinen trost.

Statt dessen zapft man sich das gerstenberuhigungsglas voll, frisch legt sich die bierschaumhaube übers gemüt, zieht einen der bittere hopfen ins sanfte land der müdigkeit – nicht umsonst gehört er zu den hanfgewächsen –

aber müdigkeit, diese müdigkeit ist kein trost
sie ist nur ein hochziehen einer dicken alten steppdecke, ein im-heuhaufen-vergraben
von sich selber verloren geglaubten, nur wird man dort nichts finden, höchstens eine stecknadel.

Wenn einem der himmel nur mehr als dunstabzugshaube für brave seelen scheint, sich eher aufmacht, einem auf den kopf zu fallen, als oben glocken läuten zu lassen, dann ist es dunkle zeit, endlich mal wieder ein geborgensein zu finden, sich im spiegel einen beherzten lichtblick zuzuwerfen und hoffnungsfunken schlagend freudenfeuer anzuzünden.

Die silberstreifen an den schläfen sind kein grund die augen zu verschließen und schwarzzusehen oder zum verzweiflungshaarefärben, sondern ein schimmer, dessen glanz den Clooneys unserer zeit gerade erst ihren liebreiz schenkt und der pfeffer in der lebenssuppe ist. Und überhaupt, wer nie gelitten hat, weiß nicht, was trost bedeutet.

Hat nicht jeder mal sich angeschissen, früher noch, und doch war man ihm nicht böse?
Hat nicht jeder mal im jähen zorn die hand gehoben und – anstatt zu winken – blind drauflosgeschlagen, bis aus – nur zum beispiel – braunen augen, blaue wurden?

Hat nicht jeder mal seinen lieblingsschimpfwort zwitschernden wellensittich draußen eines nachts im gartengrasozean begraben, dabei geschluchzt
und aus zwei eislutscherstäbchen ein kleines kreuz gebastelt?

Oder sich versehentlich auf das meerschwein gesetzt?

Hat nicht jeder mal gedacht – bevor sie stirbt, wird man sich doch noch verabschieden können …

Und dann waren wir doch immer wieder
das reh im herannahenden scheinwerferlicht, der falschparker, der fünf minuten zu spät kam,
der rasthausklobesucher mit durchfall, aber die schüssel – nein! – nicht nur die schüssel, die brille, der wasserkasten, der boden, ja sogar bis hinauf zur decke ist alles angeschissen und die letzte rolle klopapier verstopft den abfluss.

Schhhhhh… schh schhhh schhhhhh.

Komm. Komm her. Setz dich zu mir. Halt mich fest.
Oh. Dir ist kalt. Ist dir kalt? Schhhhhh … Komm! Hier, setz dir diese haube auf, diese
schöne
flauschige
weiße
müdemachende
bierschaumhaube.

Denk wieder hefetrübe gedanken. Schlaf sacht ein.

Und später, stell dich doch raus,
ins freie,
unter den endlos weiten dunstabzug.

© by René Bauer, 14. Oktober 2018

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