Gretl Friedwaldner, die in einem Einkaufs- und Dienstleistungszentrum am Stadtrand eine kleine Agentur für naturnahe Bestattungen betrieb, war erleichtert, dass sie selbst dem Gevatter noch einmal von der Schaufel gesprungen war. Die besorgniserregende Anomalie, die der Arzt bei der letzten Untersuchung an einem ihrer Eileiter festgestellt hatte, hatte sich als Fleischfliegenschiss auf dem Monitor des Ultraschallgeräts entpuppt. Gretl war kerngesund. Der schusselige Gynäkologe Dr. Schmirgler, der seine Ordination im selben Zentrum unweit von Gretls Büro unterhielt, hatte sich bei ihr nicht einmal für seinen Fauxpas entschuldigt, worüber sie heftig erbost gewesen wäre, wenn nicht die Freude darüber überwogen hätte, dass sie nicht vor der Zeit sterben musste. Sie setzte sich um die Mittagszeit nach ihrem Termin ins Pub des Einkaufszentrums und gönnte sich zur Feier ihrer Rückkehr ins Leben ein großes Hefeweizen. Erleichtert strich sie ihren Namen aus der Reservierungsliste für die Urnenplätze in ihrem Zirbenwäldchen, die sie immer bei sich trug. Gerade als sie ihr Glas zum Mund führen wollte, um einen tiefen Schluck Weißbier zu sich zu nehmen, bemerkte sie, dass ausgerechnet der Mann das Pub betrat, den sie jetzt am allerwenigsten sehen wollte. Es war Dr. Schmirgler, der gerade seine Mittagspause angetreten hatte. Zu allem Unglück steuerte er direkt auf sie zu und fragte sie, ob an ihrem Tisch noch ein Platz frei sei. Ihre Antwort wartete er gar nicht erst ab. Er setzte sich ihr gegenüber, grapschte nach ihrem Weißbierglas, hob es prüfend in die Höhe und nahm einen kräftigen Schluck. „Unkenbräu, wie?“ rief er pikiert aus. „Bäh, schmeckt nach eingeschlafenen Amphibien.“ Gretl, die nach außen hin ruhig blieb, war so wütend, dass fast schon kleine Rauchwolken aus ihren Ohren stiegen. „Ich genieße nur das exklusive Adonisbräu“, erklärte Dr. Schmirgler. „Ich bin Gynäkologe, aber beim Bier mache ich keine Abstriche.“ Vor Vergnügen über seinen platten Spruch klopfte er sich begeistert auf seine Schenkel. Gretl holte sich ihr Bierglas zurück und goss den restlichen Inhalt seelenruhig über Dr. Schmirglers Leibesmitte. „Ups“, sagte sie dann. „Jetzt ist nicht nur der Witz in die Hosen gegangen.“ Sie legte fünf Euro auf den Tisch und ließ den mundtoten Gynäkologen allein im Pub zurück. Am Nachmittag suchte sich eine neue Frauenarztpraxis, eine, die von einer Frau geleitet wurde, am anderen Ende der Stadt.
Michael, 11. Mai 2019